URSULA K. LE GUIN: "DIE WILDE GABE"

Ursula K. Le Guin, die große alte Dame der Fantasy-Literatur mit Klassikern wie dem "Erdsee"-Zyklus, stellt nun eine neue Welt vor. In ihr leben unzivilisierte raue Menschn im harten Klima des Hochlands und das einzige, was den Frieden zwischen den Sippen garantiert, sind die mächtigen gefährlichen Gaben, die die Führer der Clans beherrschen. Sie können Schaden mit diesen ererbten magischen Kräften anrichten und einige vermögen gar zu töten.

"Die wilde Gabe" heißt der erste Teil des neuen Zyklus und von dieser ungeheuren Kraft, mit der er Dinge aufzulösen vermag, erzählt der heranwachsende Orrec. Von seinem Vater Canoc aus dem Hause Caspromant hat er die unheimliche todbringende Gabe geerbt. Doch der jetzt 13-Jährige hat ein Problem damit, denn seine feinsinnigere Mutter stammt aus dem Tiefland, wo man solche Gaben nur vom Erzählen kennt. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass Orrec seine Gabe erst durch einen erschreckenden Zufalls erstmals einsetzt, ohne sie jedoch beherrschen zu können.

Der Sohn des Clanführers, der von Kindheit an eng mit Gry, der Tochter eine befreundeten Familie aufwuchs, die ihrerseits die Gabe der Tierbeeinflussung beherrscht, sieht nur eine Möglichkeit zu verhindern, dass er eines Tages ungewollt nahestehende Menschen mit seinen tödlichen Blocken Blicken umbringt: er lässt sich von seinem Vater dauerhaft die Augen verbinden. Damit fehlt Orrec allerdings in der nun drohend heraufziehenden Konfrontation mit jener räuberischen Sippe des grausamen, anmaßenden Ogge Drum. Aber ohnehin ändert sich die Situation, als nun Emmon, der Fremde auftaucht und ahnen lässt, dass es mit Orrecs unbezähmbarer Gabe etwas ganz Anderes auf sich hat.

Wie gewohnt fesselt Ursula K. Le Guin auch in dieser faszinierend entworfenen neuen Welt nicht mit wildem Aktionismus vor surrealen Kulissen sondern mit subtil gezeichneten glaubhaften Charakteren und einer weniger vordergründigen Spannung. In den fein eingewobenen Regeln und Riten in diesem Kampf zwischen Gut und Böse spürt man einmal mehr ihre Herkunft aus einer anthroposophischen Familie, zugleich erzählt sie farbig, klar und mit dieser Meisterschaft, Dinge mit wenigen Worten so elegant auf den Punkt zu bringen, dass jeder Satz ein Genuss ist. Mag sich diese Geschichte vor sehr real wirkendem Hintergrund auch ganz wesentlich um zwei jugendliche Protagonisten drehen, so ist dieser Roman doch für "reifere" Leser ein ebenso großes Lesevergnügen, das viel Appetit auf Fortsetzungen weckt.

 

# Ursula K. Le Guin: Die wilde Gabe (aus dem Amerikanischen von Florian K. Marzin); 295 Seiten; Piper Verlag, München; € 18,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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