PAUL AUSTER: "DIE BROOKLYN-REVUE"

"Ich suchte nach einem richtigen Ort zum Sterben." Mit diesem düsteren Satz beginnt Paul Austers neuer Roman "Die Brooklyn-Revue" und erwartungsgemäß kommt alles ganz anders. Nathan Glass, der auf einen Tipp hin in den New Yorker Stadtteil umzieht, ist ein 59-jähriger frisch pensionierter Versicherungsvertreter, der eben eine Therapie gegen Lungenkrebs und die Scheidung von seiner Frau überstanden hat. Und: er ist nach Brooklyn gekommen, um ein neues Leben zu beginnen, irgendwie.

So beginnt ein Roman, der in manchem von Austers bisherigen abweicht, indem er nicht nur weniger verschlungene Handlungsstränge knüpft, das Buch ist außerdem nach seiner eigenen Aussage das, was man in Zeiten der Depression benötigt – eine Komödie. Die ist eingebettet in den ominösen Präsidentschaftswahlkampf des Jahres 2000 und der Autor macht kein Hehl aus seinem Zorn über die fragwürdigen Vorgänge und den Sieger Bush. Zugleich ist es eine wehmütige Erinnerung an eine politisch und gesellschaftlich verrückte Zeit in den USA, die dennoch etwas Leichtes, Optimistisches hatte. Mit keinem Wort wird das erwähnt, was am 11. September 2001 ebendort in New York passierte. Trotzdem ist es allzu gegenwärtig, wenn dieser Roman an genau jenem Morgen endet, wenn Nathan Glass in den strahlend blauen Himmel schaut, etwa 8 Uhr morgens, und glücklich ist: "So glücklich, wie nur je ein Mensch auf dieser Erde."

Zwischen dem ersten Satz und diesem Schluss erzählt Auster eine schillernd bunte Geschichte, in der Glass zum Autor wird, der ein "Buch der menschlichen Torheiten" schreiben will. Dann begegnet er zufällig seinem Neffen Tom, einem gescheiterten Akademiker, der im Antiquariat des schrägen Harry Brightman jobbt. Dieses schwuchtelige jüdische Unikum glänzt mit einer dunklen Vergangenheit und immer neuen Ideen für lukrative Schwindeleien. In seinem Bücherparadies entsteht in hinreißender Kooperation der Drei der Verkauf eines gefälschten wertvollen Originalmanuskriptes.

Hinzu kommt die kleine Lucy, völlig verstummte Tochter von Toms verkommener Schwester und deren tyrannischem Mann, der als fanatischer wiedergeborener Christ mit beschänktem Geist durchaus als Karikatur eines gewissen George W. erkennbar ist. Ohnehin bevölkert Auster in gewohnt virtuoser Weise den kleinen Kosmos mit einer Schar echter Typen, hinter deren Fassade sich mal skurrile, mal traurige Geschichten verbergen, die er dem Leser dann ganz auf du und du erzählt. Das Alles ist wunderbar komponiert und zugleich hat der Fabulierkünstler mit dieser Hymne an das Leben seinen wohl "normalsten" Roman geschrieben. Den man gleichwohl getrost ein Meisterwerk nennen kann.

 

# Paul Auster: Die Brooklyn-Revue (aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz); 351 Seiten; Rowohlt Verlag, Reinbek; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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