MARLENE DIETRICH: "NACHTGEDANKEN"

Marlene Dietrichs "Nachtgedanken", das sind Reflektionen und vor allem Poetisches, zu Papier gebracht in den quälend schlaflosen einsamen Nächten einer alternden Frau, der einst die Welt zu Füßen lag. Dietrich-Tochter Maria Riva als Herausgeberin hat mit dieser ungewöhnlichen Sammlung an Texten einen literarischen Schatz freigegeben, der manches im Leben der großen Diva bestätigt, manchem jedoch auch mit überraschenden Wertungen eine neue Sicht gibt.

Es sind melancholische aber auch scharfsinnige Erinnerungen, die Marlene Dietrich (1901-1992) in jenen Jahren nach dem Rückzug aus der Öffentlichkeit in ihrem abgeschirmten Pariser Apartment niederschrieb und sie gipfeln in den gleich zur Eröffnung offenbarten Zeilen: "Würdest du mich bitte schlafen lassen? Ich führe das traurigste Leben ohne dich – darum lass mich bitte wenigstens schlafen." Tochter Riva stellt jedoch klar, dass diese Einsamkeit selbstgewählt war. Nicht Eitelkeit und Angst vorm Verfall der Schönheit, wie bei so manchen alternden Aktricen, waren ihr Motiv – sie war es mit Mitte 70 schlicht leid, 'die Dietrich' zu sein, immer daran zu arbeiten, dass alles dem gefeierten perfekten Bild entsprach.

Mag die Tochter sie auch als kalt und besitzergreifend erlebt haben, gerade diese nächtlichen Miniaturen zeigen eine poetische, verträumte, gedankenverlorene Frau. Es finden sich neben sehnsüchtigen und sogar schwärmerischen Zeilen allerdings ebenso herzhaft spitzfindige und selbstironische Beobachtungen bis hin zu einem Hauch von Galgenhumor. Und wir erfahren, dass die intelligente Frau ihren rastlosen Geist immer wieder mit Alkohol und Tabletten zu betäuben versuchte.

Mindestens ebenso interessant wie die meist auf Englisch verfassten lyrischen Texte sind die Erläuterungen zu den darin Porträtierten von Billy Wilder über Ernest Hemingway bis zum "zärtlichen" Frank Sinatra. Tieftraurige Zeilen bestätigen, dass Jean Gabin ihre ganz große Liebe war. Ihre Bewunderung galt Heroen wie Charles de Gaulle oder der starken Persönlichkeit von Edith Piaf, wogegen sie Charlie Chaplin als ungebildeten Narziss entlarvt, der im richtigen Leben überhaupt nicht komisch war.

Marlene Dietrich darf man wohl die Diva des 20. Jahrhunderts nennen. Mit diesem faszinierenden Buch gewinnt die Schauspielerin, Sängerin und Entertainerin quasi durch eigene Hand Konturen ihrer beeindruckenden, vielschichtigen Persönlichkeit zurück, die durch Berge von Biografien eher verschüttet worden waren.

 

 

# Marlene Dietrich: Nachtgedanken (aus dem Englischen von Reiner Pfleiderer); 192 Seiten, div. Abb.; C. Bertelsmann, München; € 20

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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