JOEY GOEBEL: "VINCENT"

Wenn ein Medienmogul wie Foster Lipowitz unheilbar krank wird, kann es passieren, dass er unvermittelt seiner so erfolgreichen Mischung aus Zuckerwatte und Schund auf allen Kanälen überdrüssig wird und eine Wende von höheren Werten herbeizaubern will. Lipowitz gründet in der Provinz von Indiana die Eliteschule "New Renaissance", an der hochkarätige Künstler für Niveauvolles regelrecht gezüchtet werden sollen.

Der siebenjährige Vincent, Sohn einer chaotischen Nymphomanin, ist der fähigste der Schüler und "Vincent" lautet auch der Titel von Joey Goebels Roman, der auf dem perfiden Glaubenssatz aufbaut, dass große Kunst nur durch großes Leid entstehen kann. Als Garant dafür dienen so genannte Betreuer und für Vincent tritt der abgehalfterte Musikjournalist Harlan auf. Der Junge, ohnehin ein Außernseiter, vertraut Harlan wie einem Ersatzvater, der aber führt sich wie ein Mephisto auf, der stets Böses tut, um das Gute zu fördern, also den künstlerischen Output.

Zynisch sind die immer neuen Machenschaften, mit denen Harlan seinen Schützling in trister Laune und bald auch höchst kreativ hält. Sei es, dass er Vincents Hund vergiftet, sei es, dass er in der Pubertät jegliche Flirtereien zum Scheitern bringt – Vincent entwickelt sich wunschgemäß. Immer sensationeller werden Songs, Kurzgeschichten und Drehbücher aus seiner einsamen Klause und der Plan des Medienmoguls zur Veredelung jener Branche, die er so erfolgreich auf ein kaum noch zu unterbietendes Niveau gebracht hat, scheint aufzugehen.

All das bis hin zum grandiosen Scheitern berichtet Harlan als Ich-Erzähler mit trockenem Sarkasmus und hinreißend süffisanter Entlarvung der verluderten Unterhaltungskultur samt Stars, die bis zur Kenntlichkeit nach realen Vorbildern unserer Tage zusammengemischt wurden. Die Charaktere sind vielschichtig und glaubhaft gezeichnet und die Sprache funkelt auch in der gelungenen Übertragung in seltener Frechheit und Brillanz. "Vincent" ist ein wahrhaft diabolisches Stück Literatur, das sich mit vielen überraschenden Wendungen von ätzender Satire über hohe Dramatik bis zum bewegenden Finale windet und Fragen nach dem Sinn des Lebens und nach Wahrhaftigkeit in einer hohlen Scheinwelt stellt. Joey Goebel ist erst 25 und er musste wohl so jung sein, um diesen fesselnden, aufbegehrenden Roman derartig authentisch und virtuos niederschreiben zu können.

 

# Joey Goebel: Vincent (aus dem Amerikanischen von Hans M. Herzog und Matthias Jendis); 433 Seiten; Diogenes Verlag, Zürich; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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