JEFF TALARIGO: "DIE PERLENTAUCHERIN"

Glücklich war die 19-jährige Perlentaucherin, wenn sie nur mit der Kraft ihrer Lungen bis zu 40 Meter tief in der Seto-Inlandsee nach Austern tauchte. Bis zu dem Tag, als sie einen roten gefühllosen Flecken auf ihrem Arm entdeckte. Die Diagnose bedeutete eine Katastrophe: Lepra. Im Japan der 40er Jahre eine Art Todesurteil, denn damit ist sie eine Gefahr für alle und für ihre Familie eine Schande.

Der in Japan lebende US-Autor Jeff Talarigo erzählt die Geschichte der jungen Frau in seinem bewegenden Debütroman "Die Perlentaucherin". Sie wird zur Ausgestoßenen, denn Lepra ist hochinfektiös und führt zumeist zu entsetzlichen Entstellungen. Ihre Familie sagt sich sofort los von ihr und man bringt die Aussätzige auf die Isolationsinsel Nagashima. Am 23. Dezember 1948 beginnt ihr zweites Leben: sie ist nur noch die Nummer 2645, ihre Vergangenheit ist getilgt. Zur einfacheren Handhabung darf sie sich wie die anderen Patienten einen neuen Namen geben und sie nennt sich Fräulein Fuji.

Nagashima ist eine andere Welt, ja, ein eigenes Universum mit eigener Währung, eigenen Regeln und Gesetzen. Und die sind unbarmherzig, denn Hilfe für die Kranken wird nicht geleistet, stattdessen werden Ungehorsamkeiten hart bestraft bis hin zur Einzelhaft. Die Kranken sind Feinde und vieles, was Fräulein Fuji miterlebt oder selbst erleidet, ist in seiner Ungeheuerlichkeit schwer zu fassen. Das geht bis hin zu Zwangsabtreibungen bei leprösen Frauen selbst noch im Endstadium der Schwangerschaft. Fräulein Fuji, die selbst von Entstellungen verschont bleibt, muss als Krankenschwester bei solch grausigen Vorgängen sogar assistieren.

Der Gipfel der kaltblütigen Menschenverachtung ist jedoch 1949 die Weigerung, die insgesamt 13 Leprosorien im ganzen Land zu schließen, nachdem mit dem Medikament Promin ein Mittel zur Bekämpfung der Krankheit gefunden worden ist. Die in typisch japanischer Langmut duldenden Kranken erkämpfen sich inmitten ihres alltäglichen Grauens dennoch einen Hauch von Solidarität, von Auflehnung, einen Ansatz von Würde. Die vertritt vor allem Fräulein Fuji, für die eines Tages wider Erwarten ein Leben in Freiheit möglich wird. Das sie nun jedoch nicht mehr will.

Bei all dem schrecklichen Leid, das dieser Geschichte innewohnt, kommt der Autor gleichwohl ohne Pathos aus und es gelingt ihm eine fast nüchterne Sprache, die mit ihrer spröden Poesie und tiefen Menschlichkeit fesselt. Der Roman ist ein literarisches Glanzstück und zugleich eine Hommage an die vielen tausend Patienten auf der letzten authentischen japanischen Aussätzigeninsel.

 

# Jeff Talarigo: Die Perlentaucherin (aus dem Amerikanischen von Almuth Carstens); 237 Seiten; Luchterhand Literaturverlag, München; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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