A. LOBO ANTUNES: "GUTEN ABEND IHR DINGE HIER UNTEN"

Antonio Lobo Antunes ist ein Sprachmagier von einzigartiger Melodieführung, dabei jedoch radikal in der Herausforderung des Lesers, den er nicht genussvoll unterhält, den er vielmehr geradezu quälend in das Labyrinth der immer wieder parallelen gebrochenen Sätze hineinzieht. Das gilt auch für sein neues Meisterwerk "Guten Abend ihr Dinge hier unten", mit dem er sich einem seiner zentralen Lebensthemen widmet.

Von 1970 bis 1973 absolvierte der Arztsohn seinen Dienst als Soldat und Militärarzt in der portugiesischen Kolonie Angola, eine Zeit, die sein Leben und sein Werk entscheidend prägte. Später zum Psychiater ausgebildet, geht er auf die Kriegserlebnisse in einer Art ein, die diese unmittelbar erlebbar macht. Zugleich ist dieser Roman eine Geschichte von 40 Jahren Angola, wobei ihm selbst das Miterlebte zur Krankheit geworden ist, die sich hier nun wie ein Fiebertraum präsentiert.

Mögen die Hauptfiguren auch drei Geheimdienstagenten sein, die in der Kolonie gestohlene Diamanten aufspüren sollen, so kreuzen doch unzählige Personen ihren Weg und alle kommen zu Worte von der Mutter bis zu den Missbrauchten, von den Anständigen bis zu den Mördern, und selbst Jesus meldet sich da am Telefon. Es geht um Verluste, um Dinge, die es nicht mehr gibt, um Leiden und Schuld, auch wenn sich Täter und Opfer moralisch kaum noch unterscheiden. Und immer wieder verschwimmen die Zeitebenen, wie Antunes es in der Kolonie gelernt hat: "In Afrika gibt es weder Vergangenheit noch Zukunft, nur die immense Gegenwart."

Mag es zuweilen manch skurrilen Witz geben in diesem gewaltigen Werk, das auf 751 Seiten nur 31 Punkte benötigt – jeweils am Ende eines Kapitels – so ist es zugleich ein manisch-depressives Buch, in dem alles unvollständig bleibt wie das niemals versiegende Stimmengewirr der Erinnerung. Dieser Roman erzählt jedoch nicht vom sondern im Delirium der Erinnerungen, des schlechten Gewissens, der unheilbaren Ruhelosigkeit jener Welt im Kopf, aus der es kein Entrinnen geben kann.

"Guten Abend ihr Dinge hier unten" ist ein radikaler Roman in Inhalt und Form und der Autor verweigert kompromisslos die gängigen Verknüpfungen der vielen erzählstränge. Dass das Werk dennoch die Anstrengung des Lesens lohnt, verdankt es neben den nur schwer zu enträtselnden roten Fäden der Handlung manch genialen Sätzen von ebenso strahlender wie brachialer Poesie und da muss der Dank auch der großartigen Übersetzung von Maralde Meyer-Minnemann gelten.

 

# Antonio Lobo Antunes: Guten Abend ihr Dinge hier unten (aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann); 751 Seiten; Luchterhand Literaturverlag, München; € 24,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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