OEK DE JONG: "IN DER ÄUSSERSTEN FINSTERNIS"

In die erste Garde großer interessanter Vertreter niederländischer Literatur der Gegenwart tritt Oek de Jong mit seinem neuen Roman "In der äußersten Finsternis". Im Mittelpunkt dieser modernen Liebestragödie steht die junge attraktive Lin mit ihrer Bindungsunfähigkeit, mit untergründig lauernden Aggressionsschüben und melancholischen Anwandlungen. Hin- und hergerissen zwischen Abhängigkeit und Erniedrigung, zwischen sexuellem Rausch und enthemmter Gewalt endet ihre seelische Irrfahrt so dramatisch, wie vieles in ihrem Leben verlaufen ist.

Die seltsam unwirkliche Prologszene sollte unbedingt aufmerksam gelesen werden, denn sie ergibt einen Ansatz des Verstehens für das Rätsel von Lins wilden, irreal erscheinden Obsessionen. Ihr Vater spielt ein grobes Spiel rauer körperlicher Zuwendung mit ihr, bei dem sich das Kind haarsträubenden Mutproben unterzieht, um ein wenig Wärme von ihm zu bekommen. Die obskure Szene bleibt ebenso unvergessen für die junge Frau wie die durch sein alsbaldiges Verschwinden gerissene Wunde. Sie erklärt auch, warum sich die sexversessene, egozentrische Lin vom deutlich älteren Henri so magisch angezogen fühlt, obwohl der eher grobschlächtige notorische Fremdgänger sie anfangs auch körperlich enttäuscht.

So blind sie sich sexuell auch bald verstehen, ihr zwanghafter Umgang miteinander ist von Kampf, Misstrauen und Gewalt bis in tiefste seelische Tiefen bestimmt. Als es dann zur Trennung kommt, tritt mit dem kultivierten Jelmer ein Mann in ihr Leben, mit dem eine weniger zerrissene Seele als die ihre sicher glücklich hätte werden können. Doch ihre Anpassungsversuche scheitern trotz aller guten Vorsätze, denn offenbar braucht sie die emotionale Herausforderung, das Verletztwerden mehr als echte Nähe und Vertrauen. Und dann begegnet sie Henri erneut und ihrer beider Irrfahrt ins Liebesunglück wird durch immer stärkere Selbstzerstörungstendenzen geprägt. Sie will etwas von ihm, das der Verschlossene ihr nicht geben kann oder will. Bis ihre gewalttätigen Wahnvorstellungen übermächtig werden.

Tief zieht der Autor den bis zuletzt gebannten Leser in diese bis ins Intimste präzise ausgeleuchtete Gefühlswelt der exzellent gezeichneten Charaktere hinein. Sehr sinnlich und offen erotisch ist das geschrieben und zugleich kunstvoll genug, um nicht pornografisch zu sein. Lins Rätsel bleibt auf bezwingende Weise ungelöst und macht diese starke zerrissene Frauenfigur deshalb um so eindringlicher. Zum besonderen Lesegenuss des großartigen Romans trägt im Übrigen auch Thomas Hauths exquisite Übertragungs ins Deutsche bei.

 

# Oek de Jong: In der äußersten Finsternis (aus dem Niederländischen von Thomas Hauth); 542 Seiten; Piper Verlag, München; € 22,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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