CRAIG CLEVENGER: "DER GENIALE MISTER FLETCHER"

Daniel Fletcher wurde ins Krankenhaus in Los Angeles eingeliefert, der Magen ausgepumpt und sein Herz reanimiert, Diagnose Überdosis Medikamente. Nun sitzt er wegen Suizidgefährdung in der Befragungssitzung des Psychiaters und erzählt seine ganz einfache Geschichte.

Die hat nur einen gravierenden Fehler: nichts an ihr stimmt und das einzig echte an Fletcher ist ein sechster Finger an der linken Hand als unveränderbare Marotte der Natur. Was er gegenüber dem gefährlich gewieften Seelenklempner ausbreitet, muss aber Hand und Fuß haben, denn eine falsche Antwort könnte ihn auf ewig in strenges Gewahrsam bringen. Also kämpft er um seine Freiheit und fast nebenher auch um die Sicherheit seiner Geliebten und er tut das mit der Rafinesse eines intelligenten Chamäleons.

"Der geniale Mister Fletscher" hat der Texaner Craig Clevenger seinen Debütroman genannt, allerdings kommt der Originaltitel "Das Handbuch des Schlangenmenschen" dem wahren Charakters seines Ich-Erzählers deutlich näher, wenn er sich ein ums andere Mal trickreich aus scheinbar unmöglichen Situationen herauswindet. Fletcher ist nur eine von vielen Identitäten, die der Trickspieler und Verrenkungskünstler durchlebt, um seinen Häschern zu entkommen, seit er sein Können als meisterhafter Fälscher an die falschen Leute verkauft hat. Da werden seine wiederholten massiven Migräneanfälle zu einer heiklen Bedrohung, denn immer wieder haben die unerträglichen Schmerzen wie auch dieses Mal zu lebensbedrohlichem Medikamentenmissbrauch geführt.

Mit der stets gleichen Folge, hinterher Psychiater von seiner Harmlosigkeit überzeugen zu müssen. Von der Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft hängt also alles ab und folglich muss die erfundene Vergangenheit samt dem Erscheinungsbild stimmig sein. Diesmal aber hat Fletcher einen ebenbürtigen Gegner und seine Kombinationsgabe wird ebenso hart gefordert wie diese Mischung aus exzellentem Gedächtnis und dezent beherrschter Schauspielkunst. Und dieser hochbegabte Kriminelle versteht das Spiel des ungreifbaren Wechselbalgs auf faszinierende Weise.

Clevenger erzählt das alles so direkt und so nah, dass eine sofortige Sogwirkung entsteht. Zugleich ist dieser zynische Roman eine Lehrstunde um cleveren Umgang mit Psychiatern und derartigen Befragungen, schließlich: "Seine Unterschrift kann dich in die geschlossene Abteilung bringen." Diese Geschichte der vielen erfundenen und gebrochenen Identitäten erinnert stark an die verschachtelten Fälle Paul Austers. Clevenger hat noch nicht dessen Eleganz, aber beste Ansätze für eine ähnlich geniale Magie der Vielschichtigkeit.

 

# Craig Clevenger: Der geniale Mister Fletcher (aus dem Amerikanischen von Susanne Mecklenburg); 315 Seiten; Aufbau-Verlag, Berlin; € 18,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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