NEDJMA: "DIE MANDEL"

"Die intime Geschichte einer arabischen Frau" hat der Verlag den Roman "Die Mandel" untertitelt und da er mutmaßlich authentisch ist, schützt sich die marokkanische Autorin mit dem Pseudonym Nedjma. Wohl zu recht, denn ob Fiktion oder autobiographisch, für diesen Bericht aus dem intimen Leben einer Muslima müsste sie in ihrer Heimat vermutlich mit der Steinigung rechnen.

Zu drastisch stellt sie die Bigotterie der absolut maskulin beherrschten traditionellen islamischen Gesellschaft mit ihren abstrusen, frauenfeindlichen Gebräuchen bloß. So gehört die Geschichte ihrer Hochzeitsnacht zu den aufwühlendsten Passagen, wenn der 40-jährige Hmed in drastischer Manier die Entjungferung der 17-jährigen Badra vollzieht. Schon die handgreiflichen Tests ihrer Jungfräulichkeit durch seine Familie sind massiv entwürdigend, wenngleich offenbar gängiger Brauch nicht nur in Badras rückständigem Dorf.

Der Kommentar der Ich-Erzählerin dazu bringt es jedoch auf den Punkt: "Das blutbefleckte Hemd bewies nichts – nur die Dummheit der Männer und die Grausamkeit gegen die unterworfenen Frauen." Und sie flüchtet ins großstädtische Tanger zur relativ emanzipierten Tante Selma, denn mit dem Erkennen der Unterdrückung kommt die Wut, die Empörung, das Aufbegehren. Aus dem Entwicklungsroman wird nun eine hocherotische Geschichte, denn als das naive attraktive Bauernmädchen sich von dem wohlsituierten Arzt Driss erobern lässt, erwacht sie nicht nur aus der verordneten geistig-gesellschaftli-chen Isolation als Frau. Es setzt eine obsessive Affäre voller Gier, Liebe, Zärtlichkeit, Rausch und Enttäuschung ein, die ebenso offen wie wunderschön poetisch-blumig geschildert wird.

Die Dramaturgie schafft eine raffinierte Sogwirkung, denn eingestreut sind Badras lebensprallen Kindheitserinnerungen aus dem Berberdorf, verbunden mit den Anklagen gegen den Islam in der Ausprägung, zu der er von den Männern zur Erleichterung ihrer Machtbedürfnisse verzerrt worden ist. Dieses Wechselspiel von Vorher und Später lässt das ganze Ausmaß von Unterdrückung und ansatzweise erkämpfter Freiheit erahnen. Mit dem frivolen, freigeistigen Liebhaber pendelt Barda zwar ins andere Extrem der Freizügigkeit und echtes Liebesglück bleibt ihr versagt, doch es bleibt die Freiheit der eigenen Entscheidungen und sei es nur zum Neinsagen.

Fazit: ein durch und durch ungewöhnlicher, fesselnder Roman. Selbst wenn er weitgehend Erfindung sein sollte, hat er seinen Wert allein schon als kenntnisreiche Philippika gegen jede Form von Bigotterie. Die exzellente Übertragung ins Deutsche tut das Ihrige zu einem Lesevergnügen von hohen literarischen Graden dazu.

 

# Nedjma: Die Mandel (aus dem französischen von Eliane Hagedorn und Bettina Runge); 256 Seiten; Droemer Verlag, München; € 18

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen.


Kennziffer: NF 162 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de