JOHN UPDIKE: "SUCHT MEIN ANGESICHT"

316 Seiten nichts als das Gespräch eines einzigen Tages zwischen einer jungen und einer alten Frau und dennoch ist es eine fesselnde Lektüre vom Feinsten. Dass "Sucht mein Angesicht" ein solches literarisches Juwel geworden ist, dazu bedurfte es allerdings eines Meisters wie John Updike.

Ein ganzes Buch lang lässt er eine junge Kunstkritikerin die 78-jährige Hope Chavetz interviewen, die zwar selbst Malerin ist, vor allem aber die Witwe gleich zweier berühmter Maler. Diese Hope kommt in den 40er Jahren nach New York und landet in jener unbotmäßigen Clique, deren Heroen bald mit ihrem Abstrakten Expressionismus der bis dahin ausschließlich von Europäern bestimmten modernen Kunst Paroli bieten sollten.

Updike, der selbst Kunst studiert hat, schafft eine deutliche Nähe zum realen US-Kunstgeschehen mit wiedererkennbaren Figuren. So war Hope Ehefrau und hautnahe Zeugin vom Jackson-Pollock-Pendant Zack, dem versoffenen Genie der amerikanischen Malerei mit seinen monumentalen Bildern. War dieser Zack ein schwieriger Berserker und die Ehe mit ihm 'legendär', so ist Ehemann Nummer 2 eher ein Schizophrener: daheim geradezu bürgerlich und Vater von Hopes drei Kindern, vor Ort jedoch, also als Künstler in New York aber ohne jede Hemmung. In seiner Charakterisierung schimmern gleich mehrere Größen der Szene durch, allen voran Andy Warhol.

Doch so wie dieses Interview sich alsbald zu einem ungeheuer facettenreichen Lebensbericht Hopes wandelt, so umfasst es auf hinreißende Weise zugleich ein halbes Jahrhundert amerikanischen Kunstschaffens. Immer wieder schlägt die Erinnerung der alten Dame Volten, wenn sie zum Beispiel an die Wandlungen im Aussehen im Laufe der Jahre und Moden denkt, und hier beweist Updike einmal mehr seine Meisterschaft in der Zeichnung von Personen und Szenerien. Und es reizt Hope zu provozieren, dann wird sie direkt und auch ihre sexuellen Vorlieben kommen durchaus genüsslich zur Sprache.

So abstrakt die beschriebene Kunst auch sein mag, es bleibt nie ein Zweifel, dass stets ein Mensch dahinter steckt. Und dieser allgegenwärtige menschliche Aspekt gepaart mit den faszinierenden Formulierungen des Sprachmagiers (dankenswerterweise hervorragend ins Deutsche übertragen!) machen dieses souveräne Alterswerk zu einem Lesegenuss auf höchstem Niveau.

 

# John Updike: Sucht mein Angesicht (aus dem Amerikanischen von Maria Carlsson); 316 Seiten; Rowohlt Verlag, Reinbek; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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