BOB DYLAN: "CHRONICLES. VOLUME ONE"

Nun gibt es sie wirklich, die Autobiographie des Schweigsamen, des Geheimnisvollen, des Chamäleons Bob Dylan und zugleich ist der Titel "Chronicles. Volume One" eingedenk seiner Abneigung, in Interviews Rede und Antwort zu stehen, keine Versicherung, dass es weitere Bände geben wird. Doch diese eine Offenlegung bereits muss als wahres Geschenk nicht nur für Dylan-Fans angesehen werden.

Der wohl größte Songwriter aller Zeiten beginnt und schließt sein Buch mit jenen ersten Aufnahmesessions im New Yorker Winter 1961/62, die seine endlose Karriere einleiteten. Schlicht, schnörkellos und dennoch von rauer Poesie geprägt schildert er den Werdegang vom schmalen Jüngling aus der Kleinstadt Hibbing in Minnesota, der 1959 von zu Hause weggeht und mit 18 seine Offenbarung erlebt, als er erstmals Platten von Woodie Guthrie hört. Ohnehin interesssiert er sich nur für Folkmusic, denn er will Geschichten erzählen.

Es ist spannend, wie Dylan den Weg vom mäßig erfolgreichen Sänger zum genialen Songschreiber schafft. Sein Repertoir ist zwar schon 1961 riesig, doch der bildungsversessene Bücherfresser hat erst in New York sein Erweckungserlebnis, als er innerhalb kurzer Zeit erst in Brechts Dreigroschenoper das Lied von der "Seeräuber-Jenny" und dann Platten von Blues-Legende Robert Johnson hört. Mit 21 schreibt der bekennende Einzelgänger mit "Let me die in my Footsteps" seinen ersten eigenen Song, dem bis heute an die 1000 folgen sollten.

Dylan zeigt sich überraschend offen, wenngleich zum Verständnis mancher scheinbar seltsam vager oder sparsamer Äußerungen Vorkenntnisse und das Lesen zwischen den Zeilen nötig sind. Da erwähnt er jenen mysteriösen Motorradunfall von 1966 nur mit einem Satz und bestätigt damit doch die Insider-Gerüchte, dass er die Genesung von den Verletzungen als willkommenes Alibi genutzt hat, um einem Starrummel und Dauerverpflichtungen zu entkommen, die ihn zu erdrücken drohten. Der Schrecken über die Belagerungen seines Hauses durch Fans wird spürbar und er bewirkt zweierlei: den unvermuteten Wunsch nach kleinbürgerlicher Idylle und dass er nach den Hetzjagden selbst in dieser Autobiographie sehr dezent und ohne Namensnennung von Frau und Kindern spricht, obwohl er seine Familie offenbar sehr liebt.

Auch die familiäre Herkunft leuchtet er nur wenig aus, wobei er den Vater aber sogar zum besten Mann der Welt erklärt. Allerdings: "Er hat mich nur nicht verstanden." Das geschieht dem unerreichten Liedermacher jedoch noch viel schlimmer, als er zum Gewissen seiner Generation und vieles mehr stilisiert wird. Mag er auch der Poet der Rebellion gewesen sein, er ist ganz bewusst nicht ihr Wortführer, ja, er versteht sie offenbar ebenso wenig wie sie ihn missverstehen.

Um so faszinierender sind jene Passagen über die Entstehung eines neuen Songs nach langer Pause oder das Kapitel, als er sich ausgebrannt fühlt, ihm die eigenen Songs fremd geworden sind und er 1989 in Zusammenarbeit mit Daniel Lanois die Wiederauferstehung mit "Oh Mercy" feiert. Ohnehin begeistert auch hier in der Prosa die traumwandlerische Sprachbeherrschung Dylans und wer die sehr große Detailgenauigkeit mancher Ausführungen als nicht authentisch anzweifelt, der sollte einmal an jene peniblen Schilderungen der Kriegserlebnisse von Veteranen denken.

Mythos und Legende war der inzwischen 63-Jährige längst, manches wird hier ein wenig entzaubert, anderes dagegen erblüht erst, zugleich aber ist auch der Mensch Bob Dylan zu erahnen. Im Übrigen helfen auch seine Lieder beim Verstehenwollen, denn: "Alles, was ich schreibe, hat autobiographische Wurzeln."

 

# Bob Dylan: Chronicles. Volume One (aus dem Amerikansichen von Kathrin Passig und Gerhard Henschel), 304 Seiten; Hoffmann und Campe, Hamburg;

€ 22

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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