JOHN GRIESEMER: "NIEMAND DENKT AN GRÖNLAND"

Mit seinem opulenten Roman "Rausch" hatte John Griesemer 2003 einen Überraschungeserfolg, der sich von hier aus in alle Welt fortsetzte. Dass der hauptberufliche Schauspieler ein Schriftsteller ist, der wirklich etwas zu sagen hat, bewies jedoch bereits sein Debütroman "Niemand denkt an Grönland", der jetzt auch auf Deutsch vorliegt und ein erstaunlich aktuelles Thema hat.

Die Militärgeschichte ist typisch für ein amerikanisches Drehbuch (die Verfilmung ist schon in Vorbereitung!) mit dem Helden, der nur einen mittleren Rang hat und mit seinen Zweifeln und um den Erhalt seiner Individualität kämpft. Dazu mehr oder weniger schräge Kameraden und der Gegenspieler mit der Kommiss-Macke und der mal jovialen, mal brutalen Herrscher-Attitüde. Und als zusätzliches treibendes Moment eine attraktive Frau dazwischen. Und doch ist Entscheidendes auf faszinierende Weise so anders, dass es bis zur letzten Zeile fesselt, bewegt und überrascht, denn dieses Buch entlarvt den Wahnsinn des Krieges und den Zynismus seiner Handwerker auf subversiv leisen Sohlen.

Corporal Spruance ist ein lustloser Typ, als er 1959 zu einem Armee-Lazarett ins abeschiedene Grönland abkommandiert wird. Für Presse und Information ist er zuständig und der halb verrückte Oberst Wollwrap befiehlt ihm, eine Lazarettzeitung aufzuziehen. Nur erweist sich dieses Qangattarsa so unwirklich wie sein Name. Und dieser Ort befindet sich tatsächlich unter einer allumfassenden Quarantäne gegenüber der übrigen Welt. Es ist eine gespenstische und zugleich merkwürdig reale Szenerie mit tödlicher Kälte, Moskitoschwärmen, wandernden Gletschern und der Zeit, die nur auf dem Kalender stattfindet. Ein halbes Jahr ist Tag, ein halbes dann Nacht. Das geht an die Psyche und Spruance treibt es in eine heikle Affäre ausgerechnet mit Irene, der Geliebten des Oberst.

Der wahre Horror jedoch erschließt sich erst allmählich, als Spruance das makabre Geheimnis der Station im "Flügel" entdeckt, einer Abteilung, die man nur mit besonderer Zugangsberechtigung betreten darf. Sechs Jahre nach dem Korea-Krieges siechen hier jene Soldaten in den langsamen Tod, die offiziell als vermisst gelten, weil sie einfach zu entsetzlich verstümmelt sind, als dass die Öffentlichkeit davon wissen dürfte.

Das entfaltet sich subtiler als "M.A.S.H." und zugleich schimmert in dem makabren Humor etwas vom galligen Antimilitarismus eines "Dr. Seltsam" durch, bei dem einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Dies um so mehr, wenn man erfährt, dass der Autor auch hier vor geschichtlichem Hintergrund von einem unwirklichen Kosmos berichtet, der dennoch fühlbar echt ist. Da darf man auf die Verfilmung gespannt sein.

 

# John Griesemer: Niemand denkt an Grönland (aus dem Amerikanischen von Ingo Herzke); 335 Seiten; marebuchverlag, Hamburg; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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