TIM WINTON: "DER SINGENDE BAUM"

Mit "Der singende Baum" legt der australische Starautor Tim Winton jetzt eine einfache und zugleich ungewöhnliche Liebesgeschichte vor. Georgie ist 40, ehemalige Krankenschwester und seit drei Jahren mit Jim liiert, dem mächtigsten Hummerfischer im reichen Fischernest White Point weit im menschenleeren Westen Australiens gelegen. Verletzt durch die Missachtung seitens seiner Söhne und frustriert von Langeweile, vertreibt sie sich die Zeit mit Wodka und Internetsurfen.

Im Gegensatz zu ihr ist Luther Fox hier geboren, ansonsten ist er gleichermaßen ein Außenseiter ohne echten Anschluss. Sie waren eine verschworene Musikerfamilie, doch nun ist er nach einem Unfall der einzige Überlebende. Er schlägt sich als Raubfischer durch, der nachts die Hummerkörbe der örtlichen Fischer plündert. Georgie überrascht ihn, statt ihn anzuzeigen, verliebt sie sich jedoch in den spröden 35-Jährigen. Die Annäherung dieser Beiden ist im Dialog wie bei der Schilderung ihres ersten körperlichen Kontakts von hinreißender Poesie. Man spürt das Beben, die Hitze, zugleich aber auch die Verunsicherung dieser zwei in der Seele verletzten Menschen.

White Point, zwischen ebenso fesselnder wie lebensfeindlicher Landschaft und der wunderschönen fischreichen Bucht gelegen, ist nichts für Außenseiter, vielmehr ein unwirtliches Örtchen "außerhalb der Reichweite des Gesetzes und des besänftigenden Einflusses der Zivilisiertheit". Man spielt Luther übel mit und der flüchtet weit in den noch unwirtlicheren Norden, wo er sich in der Wildnis unter noch härteren Bedingungen durchschlägt. Geradezu selbstkasteiend reflektiert er dabei die von seltenem Glück begleitete Vergangenheit, während Georgie von Jim zwar nichts Schlimmes aber auch nichts Gutes zu erwarten hat und in ihrer Verlorenheit gar nicht mehr weiß, wohin sie gehört.

Alles scheint so simpel, so unausweichlich geradlinig, und ist doch so voller Widersprüche. Das gilt für alle Akteuere, die auch einander immer wieder überraschen, mindestens ebenso aber auch für die Natur, die ein ebenbürtiger starker Gegenspieler ist und ein virtuos ausgestaltetes Eigenleben im gesamten Roman führt, das von Geräuschen, Gerüchen und allen sonstigen sinnlichen Reizen intensiv geprägt ist. Das Alles fesselt in seiner rauen, direkten, lebensprallen Sprache bis zur sprichwörtlich letzten Zeile im grandiosen Finale. Fazit: ein Meisterwerk, unsentimental und dennoch tief berührend.

 

# Tim Winton: Der singende Baum (aus dem Australischen von Klaus Berr); 479 Seiten; Luchterhand Literaturverlag, München; € 24

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen.


Kennziffer: Bel 300 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de