SUSANNE AYOUB: "ENGELSGIFT"

Es hat sie wirklich gegeben, diese Karoline Streicher, die 1938 in Wien wegen vierfachen Giftmordes verurteilt und hingerichtet wurde, obwohl sie bis zuletzt ihre Unschuld beteuerte. Aus ihrer schon damals sensationslüstern von der Presse breitgetretenen Geschichte als angeblichem Dämon mit Engelsgesicht entwickelt Susanne Ayoub ihren Debütroman "Engelsgift", der nichts weniger als einfach grandios geraten ist.

Doch die Autorin verwandelt nicht einfach die überlieferten Berichte zu einem bewegenden Drama, sie lässt jene Mordserie 60 Jahre danach in neuem Lichte erstehen – und sie lässt tatsächlich Zweifel aufkeimen an der Schuld der attraktiven Rothaarigen, die ebenso jähzornig wie lüstern und verschwendungssüchtig war. Die Drehbuchautorin Marie Horvath will den Fall für einen Film neu aufrollen und sie hat eine Begegnung, die vieles in Frage stellt: mit jenem Sohn Hermann, der damals alles miterlebt, ja durchlitten hat.

So alt er auch inzwischen ist, er hat etwas düster Faszinierendes an sich und er zieht Marie in seinen Bann, als er nun sein Schweigen bricht. Seine Mutter sei ein vom Leben gebeuteltes, hartherziges Scheusal von verlockender Schönheit gewesen und zugleich für ihn ein steter Quell gnadenloser Drangsal: "Die Hand meiner Mutter hat die Liebe aus mir herausgeschlagen." Eine Mörderin sei sie dennoch nicht gewesen sondern Opfer eines Justizirrtums. Und der Sohn erzählt, wie der erste Teil ihres schiefgelaufenen Lebens noch eine Farce war, der zweite dann jedoch zur Tragödie erwuchs.

Als Kind von der Mutter abgeschoben, wurde sie als Kindfrau von einem wohlhabenden Lustgreis geheiratet, der bald verstarb. Zur Schönheit erblüht, folgte die Ehe mit dem Ingenieur Ferdinand, Hermanns Vater. Erneut wandte sich das Schicksal gegen sie und es ist beklemmend, wie aus der Sicht des kleinen Jungen das Siechtum des Vaters geschildert wird. Doch die Achterbahn für Karolines Leben schlägt immer heftigere Volten und weitere Menschen sterben, bis man ihr schließlich den Giftmord an Ferdinand, an ihrem Neugeborenen, einer Tante und der Untermieterin zur Last legt. Längst hat die noch immer schöne Mittdreißigerin keine Chance mehr, denn sie ist umgeben von Menschen, die wie sie von galligen Bösartigkeiten bis zur blanken Niedertracht geradezu bersten. Mit welchen Ungeheuerlichkeiten will der alte Hermann all diese schockierenden Ereignisse nun also noch übertreffen.....

Das ist dann packend bis zum heftigen Finale und entwickelt mit unbändiger sinnlicher Kraft und hinreißender Sprachgewalt einen unentrinnbaren Sog. Eine solch virtuose Mischung aus Psychothriller und Lebensdrama hat Seltenheitswert und wer diesen Nervenkitzel dann noch mit garantiertem Frösteln erleben will, dem sei zusätzlich die Hörbuch-Version empfohlen. Diese gekürzte Fassung ist ein weiteres Meisterwerk, dem die renommierten Theaterschauspieler Ernst Konarek, Lena Stolze und Victoria Trauttmansdorff mit authentischem Dialekt und einer kräftigen Portion Wiener Schmäh Glanzlichter aufsetzen.

 

 

# Susanne Ayoub: Engelsgift; 368 Seiten; Hoffmann und Campe, Hamburg; € 19,90

# Susanne Ayoub: Engelsgift; gekürzte Fassung/Hörbuch, Spieldauer ca. 480 Minuten, 6 CDs; Hoffmann und Campe, Hamburg; € 26,90 WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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