HONG YING: "DIE CHINESISCHE GELIEBTE"

Wenn eine gebürtige Chinesin eine hocherotische Skandalgeschichte schreibt, die nicht nur in China spielt, sondern auch teils einst real existierende Personen einbezieht, dann ist das eine ungewöhnliche Mischung. Zusätzlich aufhorchen ließ "Die chinesische Geliebte" von Hong Ying aber, als der Roman in China verboten wurde und auch noch eine angebliche Nachfahrin der Protagonistin erfolgreich Schmerzensgeld wegen Verunglimpfung ihrer Ahnin einklagte.

Tatsächlich stellte die in London lebende Autorin Julian Bell (1908-1937) in den Mittelpunkt, den Neffen von Virginia Woolf. Wie im Roman lehrte dieser in den bewegten 30er Jahren an der Universität von Wuhan englische Literatur. Und es gab die Gerüchte um die skandalträchtige heftige Affäre mit der Frau des Dekans. Im Roman gibt sich diese schöne Lin zunächst sehr spröde und widersetzt sich Julians Avancen.

Als sie ihn jedoch zu einem Peking-Aufenthalt einlädt, beginnt eine Zeit intensiv ausgelebter Leidenschaft. Einerseits weiht ihn die reizvolle Frau, die ihm sinnlich weit überlegen ist, in die Geheimnisse der taoistischen Praxis der Sexualität ein. Andererseits entwickelt sie eine schmerzhaft innige Liebe zu dem jüngeren Mann, der ihr wegen seiner ausgeprägten Bindungsunfähigkeit eines Tages trotz allen Zaubers ihrer erotischen Kraft entgleitet.

Was sie jedoch wirklich trennt, sind die verschiedenen Kulturen, aus denen sie stammen. Mag Lin auch auch eine verlockende geheimnisvolle Traumfrau für ihn sein, letztlich bleibt sie die Exotin, andersartig und nur bedingt ihm 'gleichwertig'. So ist das Ende der Affäre denn auch geradezu schnöde und man gönnt es Julian, der auch im eigenen Land eher als linker Außenseiter galt, dass auch sein anschließender Versuch, sich in der aufkommenden Revolution Maos anzudienen scheitert.

Mag dieser Schluss auch ein wenig abfallen gegenüber dem übrigen Roman, so ist "Die chinesische Geliebte" jedenfalls ein fesselnder Sittenroman aus jener liberalen dekadenten Zeit vor den Verheerungen der kommunistischen Revolution. Die erotischen Schilderungen sind von gelungener Delikatesse, so dass sie trotz großer Offenheit nie in den Ruch der Pornographie geraten. Dabei ist die weibliche Sicht der Geschehnisse auch in dieser Hinsicht förderlich für einen hohen, niveauvollen Lesegenuss.

 

 

 

# Hong Ying: Die chinesische Geliebte (aus dem Chinesischen von Martin Winter); 270 Seiten; Aufbau Verlag, Berlin; € 17,90  

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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