ANONYMA: "BIS AUF DIE HAUT"

Eine Mutter entdeckt im Laptop ihrer Tochter einen aufwühlenden, äußerst intimen autobiographischen Roman. Da die junge Frau samt ihrem Baby seit einem Jahr spurlos verschwunden ist und nur ihr Auto auf den südenglischen Klippen gefunden wurden, gibt die Mutter das Manuskript an einen Verlag weiter. Dieser veröffentlicht es und tut es wegen der schonungslosen Offenheit des Werkes unter dem Pseudonym der Anonyma.

Ob dieser Rahmen Tatsache oder nur geschickte Aufmachung ist, kann man nur ahnen, doch wer sich auf diesen ungewöhnlichen Roman einlässt, begibt sich ohnehin in einen bald schon ebenso herausfordernden wie hypnotisierenden Lesestrudel. "Bis auf die Haut", der Titel wird den Selbstentblößungen der Ich-Erzählerin absolut gerecht, denn selten wurden Gefühle, Hoffnungen, Begierden und wildes Erleben so eindringlich, intim und ungeschönt geschildert.

Die Ehe an sich sei in Ordnung: "Es klappt alles wunderbar, mit Ausnahme vom Sex." Die Mittdreißigerin hat sich dreingefunden, das Sexgefasel der Frauenzeitschriften hält sie für erfunden und offenbar verzichtbar. Bis sie über einen Seitensprung ihres Mannes Cole stolpert, ausgerechnet mit ihrer besten Freundin. In ihrem Frust entfaltet sich die Idee, endlich egoistischer leben zu wollen. Nun werden die vielen kleinen Missverständnisse und Lügen zwischen den Partnern zu Keilen, die sich zwischen sie schieben.

Und sie begegnet Gabriel, einem seltsam anziehenden Mann. Die langsame, vibrierende Annäherung der Beiden ist exzellent beschrieben und steckt voller überraschender Elemente. Mindest so fesselnd und hinreißend dann die sehr offen und dennoch nicht zu rüde geschilderten Erlebnisse mit ihm. Gabriel hatte noch nie Verkehr und findet in ihr eine fantasievolle Lehrmeisterin, die seine Hingabe hemmungslos genießt und endlich auch am eigenen Leibe erfährt, was ein Orgasmus ist.

Die in gewissermaßen naiver Unschuld dargelegten Gefühle, Gedanken und Ereignisse sind mit einer gradlinig treibenden Dramaturgie aufgebaut, bieten aber gleichwohl glaubhafte Überraschungen. Das gipfelt in einem ebenso großen wie verwirrenden Finale und lässt den Leser nachdenklich zurück. Die geheimnisvolle Anonyma erzählt so authentisch, dass man bereitwillig an die Echtheit vom Rahmen der verschwundenen Frau glaubt. Doch auch als Fiktion verdient sich "Bis auf die Haut" beste Noten als spannender erotischer Beziehungsroman.

 

 

# Anonyma: Bis auf die Haut (aus dem Engl. von Maria Andreas); 350 Seiten; Wolfgang Krüger Verlag, Frankfurt; € 18,90 WOLFGANG A, NIEMANN (wan/JULIUS)

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