JESUS DIAZ: "DIE DOLMETSCHERIN"

Eine seltsame, finale Liebesgeschichte hat Jesus Diaz (1941-2002) mit "Die Dolmetscherin" hinterlassen. Der vielfach preisgekrönte Exil-Kubaner entsendet Barbaro, einen dunkelhäutigen Journalisten aus der Sonne Kubas ins ferne, menschenfeindliche Sibirien. Dort soll der 25-Jährige eine Reportage über die legendäre Riesenbaustelle der Baikal-Amur-Magistrale schreiben.

Barbaro reist an mit einem brennenden Geheimnis: er hat das ominöse Gelübde abgelegt, endlich mit einer Frau zu schlafen. Schon auf dem Flug nach Irkutsk bedrängen ihn dazu seltsame Gelüste gegenüber einigen derben Russinnen. Um so heftiger trifft ihn der gewaltige Kulturschock vor Ort in der eisigen Taiga mit den vom Sowjetsystem geschädigten Genossen und einem unerwartet virulenten Rassismus. Und doch vergeht ihm der Gedanke ans Aufgeben schon bald, denn da ist Nadeshda, die Dolmetscherin für den Sprachunkundigen.

Im Nu entbrennt er in heftiger Leidenschaft für die herbe Schönheit mit den eisblauen Augen und der kühlen Distanz. Nadeshda aber ist eine Gefangene der kargen Sowjet-Realität und leidet fatalistisch an der Seite ihres in den Alkoholismus emigrierten Ehemannes. Das hemmungslose Werben des heißblütigen Kubaners wehrt sie geradezu verzweifelt ab und dennoch finden sie in seiner letzten Nacht hier am weltenfernen Ufer des eisbedeckten Angara-Flusses zueinander.

Mit hinreißender Sprachgewalt lässt der Autor den Leser teilhaben an der ebenso sinnlichen wie schicksalhaften Erfüllung des Gelübdes, die für Barbaro das große finale Glück bedeutet. "Die Dolmetscherin" ist ein verstörender Roman mit Kraft und Tiefe, der über das wahre Glück und seine Vollendung nachdenken lässt.

 

# Jesus Diaz: Die Dolmetscherin (aus dem Spanischen von Astrid Böhringer); 255 Seiten; Piper Verlag, München;

€ 18,90 WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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