HENNING MANKELL: "VOR DEM FROST"

Es gibt einen neuen Mankell und diesmal wieder mit Kommissar Wallander! Im Mittelpunkt des fesselnden Romans steht jedoch eine neue Hauptfigur, seine Tochter Linda, knapp 30 und Polizeianwärterin. Man schreibt den August 2001 und Anfang September soll sie im Polizeipräsidium im südschwedischen Ystad anfangen. In der Übergangszeit aber wohnt sie bei ihrem bärbeißigen Vater und gerät ständig mit ihm aneinander, da sie ähnlich ungeduldig und aufbrausend ist.

Zum beklemmenden Auftakt von "Vor dem Frost" führt Henning Mankell den Leser allerdings zunächst in den Urwald von Guayana im Jahre 1978, als Jim Warren Jones dort seine Volkstempel-Sekte in den kollektiven Selbstmord treibt. Nur einen Überlebenden gibt es und der taucht für lange Zeit unter, erfüllt vom Hass auf Jones als Verräter an der großen Idee wie auch vom brennenden Ehrgeiz, dessen ursprünglichen Weg eines 'Apostels der Vernunft' fortzusetzen.

In Schweden im Sommer 2001 geschehen nun makabre Dinge, denn sechs brennende Schwäne fliegen über den Marebo-See und ein Kalb wird bei lebendigem Leibe verbrannt. Zugleich besucht Linda Wallander ihre Schulfreundin Anna, die angeblich ihren 1977 untergetauchten Vater wiedergesehen hat. Am nächsten Tag ist Anna verschwunden und Linda beginnt, nach ihr zu forschen. Ihr Vater hat derweil mit weiteren ungewöhnlichen Ereignissen zu tun, die ihn vor Rätsel stellen: Frauen verschwinden, weitere Tiere brennen und schließlich auch zeitgleich zwei Kirchen, wobei in der einen zuvor eine Frau erdrosselt worden ist.

Wallander ahnt, dass sich etwas Schlimmes, viel Größeres anbahnt, und Tochter Linda steckt auch mit drin. Was für seine gefürchteten Wutausbrüche sorgt, denn bei ihren Eigenmächtigkeiten pfuscht sie auf lebensgefährliche Weise Gottesfanatikern ins Werk, die die christliche Wiedererweckung der Welt mit Blut schreiben wollen. Es soll hier nicht verraten werden, zu welchen Wahnsinnstaten sich der "auserwählte Führer" und seine Jünger in Schweden versammelt haben. Es ist dabei ein großes Verdienst Mankells, dass er den Roman auch zu einer grandiosen Psycho-Studie über die Verblendung religiöser Fundamentalisten nutzt, bei der man mit schaudernder Faszination deren Wahnsinns-Logik erkennt, die bis in den Selbstmordanschlag als Überzeugungstäter führt. Und der 'ausersehene Tag für das Ende der alten Zeit' soll der 8. September sein....

Ansonsten erzeugt auch "Vor dem Frost" wieder die bekannte Sogwirkung, die der Autor trotz der typisch schwedischen gründlichen Erzählweise durch die gekonnt teuflische Dramaturgie aufbaut. Mit Linda deutet sich zudem ein interessanter Generationswechsel an, ohne auf manche charakteristischen Wallander-Eigenschaften verzichten zu müssen. Und sie verliebt sich in einen neuen Kollegen, jenen Kommissar Stefan Lindman aus "Die Rückkehr des Tanzlehrers". Fazit: ein Mankell vom Besten, hochaktuell und gerade deshalb auch besonders wertvoll.

 

 

# Henning Mankell: Vor dem Frost (aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt); 541 Seiten; Paul Zsolnay Verlag, Wien; € 24,90 WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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