DORIS RUNGE: "du also"

Doris Runge ist eine Meisterin der präzisen Doppel- oder gar Vieldeutigkeit. Das beweist sie auch mit ihrem neuen Gedichtband "du also", den sie jetzt zum 60. Geburtstag am 15. Juli vorlegt. Schmal sind ihre Verse, herb, konzentriert und von hochsensibler Beschränkung auf das Wesentliche.

Nur wenige Lyriker verstehen es wie die Friedrich-Hölderlin-Preisträgerin (1997) und Poetikprofessorin (1999), so karg und doch voller Poesie mit wenigen Zeilen das Bild einer späten Liebe zu zeichnen wie in "wer geht". Das berührt, trifft, bewegt wie das Titelgedicht, das mit wenigen Strichen eine ganze Geschichte vom Verlieben anklingen lässt. Selbst Philosophisches wie "die schleppe" überzeugt da mit scheinbar leichter Hand.

Mit fragmentarischer Dichte und zugleich schwebender Behutsamkeit gelingt es der spätberufenen Poetin – ihren ersten Lyrikband veröffentlichte sie mit 42 – die reale, erdenschwere Welt zur "zikadenstunde" voller Anmut hinter sich zu lassen. Und es hat einen eigentümlichen, unvergesslichen Reiz, wenn sie in "nichts mehr" einen fast sinnentrückten Moment in jener Sekunde des glücklichen Erinnerns einfängt, der vor der Erkenntnis des Vergangenseins kommt. Doch Doris Runge versteht sich auch auf ein melancholisches Schmunzeln, wenn sie das Altern andenkt: "als ikea noch jung war/noch lächeln wir/jugendstilig eingerahmt".

Und selbst erhabene Ironie webt die Autorin in ihre feinen lyrischen Bildergeflechte ein wie über jenen Hahn, der in "der abendhimmel" sein eigenes Todesurteil beschwört – mit ganzen vier Zeilen malt sie eine Geschichte, die fantasieren und doch auch nachdenklich werden lässt.