BARRY HANNAH: "GEGENÜBER DEM HIMMEL"

Es gibt dieses Eagle Lake im Bundesstaat Mississippi nicht wirklich und dennoch porträtiert Barry Hannah den typischen Südstaatenkosmos auf grandiose Weise authentisch mit diesem Nest und seinen Menschen. "Gegenüber dem Himmel" heißt der erste auf Deutsch erschienene Roman des preisgekrönten US-Autors und wer dann hört, dass dieser Sprachvirtuose bereits Drehbücher für Kult-Regisseur Robert Altman verfasst hat, der ahnt vielleicht, was sich hier entfalten wird.

Es ist nicht die eine, vielfältig gewundene Handlungslinie, die fesselt, es sind die vielen, ineinander gewobenen Geschichten um all die ebenso seltsamen wie fast alltäglichen Sieger und Verlierer der Gesellschaft. Da ist 'Leons Bar' ein primitiver Treffpunkt vieler Protagonisten, denn das Angeln spielt eine wichtige Nebenrolle. Ähnlich wichtig ist das Casino mit seinen üppigen und durchweg käuflichen Damen. Nicht zu vergessen die Kirche mit ihrem durchgeknallten Prediger auf dem Drogentrip und der junge, irgendwie nicht hier passende Sheriff Facetto. Der verknallt sich rasend in die attraktive Witwe Melanie, gerade erst 71, während Veteranenwrack Ulrich so sehr mit dem Leben abgeschlossen hat, dass er sich Ausraster leisten kann. Und das ist nur ein Teil des schrägen Handlungspersonals.

Zentrale Figur aber ist Man Mortimer, ein seelenloser Lump von abstoßend faszinierender Schlechtigkeit. Der gefürchtete Hurenbock hat sich als Dieb, Zuhälter und mit seinem Hang zu Messerattacken bei fast jedem in irgendeiner Weise eine tiefsitzende Ladung Hass eingefangen. Bei Frauen hat er einen Schlag, die einzige jedoch, die ihm mit alttestamentarischer Fantasie jemals den Verstand rauben konnte, war die halb verblühte Dee. Und dann muss er erfahren, dass sie auch mit dem Veteranen Frank poussiert – das Männergespräch der Beiden gehört zu den Glanzpunkten des Romans. Doch da ist auch noch jenes Waisenhaus am See und dort wächst der Gedanke an Rache an der verdorbenen Erwachsenenwelt....

Fazit: einen Fabulierer wie Barry Hannah gilt es hier wahrhaft noch zu entdecken. Selten wird dem Leser eine solche Fülle großartiger Bilder und Szenen wie aus einer nie versiegenden Quelle geboten. Das ist sprachlich brillant, ätzend von tiefschwarzem Humor und rüde wie bei Charles Bukowski, aber auch ebenso hinreißend wie dessen stoisch selbstzerstörerische Gossenpoesie.

 

 

 

# Barry Hannah: Gegenüber dem Himmel (aus dem Amerikanischen von Teja Schwaner); 348 Seiten; Aufbau-Verlag, Berlin; € 22

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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