SIRI HUSTVEDT: "WAS ICH LIEBTE"

Mit "Was ich liebte" legt nun Siri Hustvedt nach dem grandiosen "Buch der Illusionen" ihres Ehemannes Paul Auster vom letzten Jahr ebenfalls einen Roman vor, der alle Ingredienzen für einen Klassiker mitbringt. Es sind die Lebenserinnerungen eines inzwischen fast blinden Kunsthistorikers, die die Autorin als Ich-Erzähler Leo Hertzberg niederschreibt.

Mitte der 70er Jahre, Leo ist glücklich mit Erica in einem Loft in SoHo, New York City. Als er ein "Selbstporträt" von Bill Wechsler entdeckt, das jedoch eine Frau zeigt, lernt er den Künstler kennen und sie werden Freunde. Bald zieht Bill mit seiner gefühlskalten Frau Lucille in dasselbe Haus. Als die Frauen 1977 fast zeitgleich die Söhne Matthew und Mark bekommen, zerbricht Bills Ehe und Lucille verlässt ihn und Mark. Doch Bill findet ein neues Glück mit der jungen, herzlichen Violet und die beiden Paare pflegen eine rege Freundschaft, während die Söhne sogar fast wie Zwillinge aufwachsen.

Trotz einiger Irritationen wegen der komplizierten Beziehungen zu Lucille ist es eine gute Zeit und es ist der Beginn jener Ära des künstlerischen und intellektuellen Aufbruchs in den 80er Jahren, der sich mit exzellentem Zeit- und Lokalkolorit niederschlägt. Leo und Bill sind mittendrin und auch ihre Frauen arbeiten geisteswissenschaftlich. Dann jedoch verunglückt der inzwischen elfjährige Matt tödlich – eine Katastrophe, die zum völligen Bruch und unaufhaltsam zum Niedergang führt. Erica trennt sich schließlich von Leo und stellt fest: "Als Matt starb, war es, als wäre auch unsere Geschichte zu Ende gegangen."

Bill und Violet versuchen, den gebrochenen Leo zu stützen, doch auch ihre einstigen Lebensentwürfe scheitern und auch bei ihnen ist ihr Sohn der Auslöser, denn Mark entwickelt sich zum notorischen Lügner und rutscht in die Drogen- und Kriminellenszene ab. Eines Tages liegt Bill plötzlich tot in seinem Atelier, Mark ist verschwunden und dem langsam erblindenden Leo bleiben nur noch die über weite Entfernungen und Zeiträume gepflegten Freundschaften zu Erica und Violet. Und die Erkenntnis, dass am Ende nichts als die einsame Erinnerung an die Liebe überlebt.

Der Roman spielt in der Welt der Künstler und Intellektuellen New Yorks, dennoch glitzert er nicht mit kühler Satire. Vielmehr ist "Was ich liebte" eine kleine aber großartige Elegie über Vergänglichkeit und Verfall und wen dieses Buch nicht berührt, der hat ein Problem. Nichts an der Geschichte ist aufgesetzt, um so mehr fasziniert die bestechende Bildhaftigkeit, mit der die Autorin die alltägliche Wirklichkeit in Worte zu fassen vermag. Ihr Leo Hertzberg ist ein unvergesslicher hochsensibler Ich-Erzähler, ein wenig eigen und zugleich so nah, dass seine Einsamkeit und diese stille Trauer beinahe schmerzen.

 

 

# Siri Hustvedt: Was ich liebte (aus dem Amerikanischen von Uli Aumüller, Erica Fischer und Grete Osterwald); 477 Seiten; Rowohlt Verlag, Reinbek; € 22,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

 

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