OLLIVIER POURRIOL: "MEPHISTOWALZER"

"Mephistowalzer" heißt der erste Roman von Ollivier Pourriol, doch fast bis zum aufwühlenden Finale des Buches geht es statt des Liszt-Stücks um den alljährlichen Chopin-Wettbewerb in Warschau. Der Ich-Erzähler ist einer der teilnehmenden 150 Pianisten, allerdings rechnet sich der 28-jährige Franzose keine großen Chancen aus. Statt dessen stolpert er von Beginn an in mal vertrackte, mal auch mysteriöse Geschehnisse.

Eingeladen wurde er vom väterlichen Freund Ostreich, selbst begnadeter Altmeister und jetzt Präsident der Jury. Der wodka-selige Haudegen foppt ihn ein ums andere Mal, liefert sich aber auch intellektuelle Wortgefechte mit ihm. Der tolpatschige Ich-Erzähler begegnet zudem drei scheinbar sehr unterschiedlichen Frauen, die er heftig begehrt. Die attraktive Journalistin Blondie gibt sich kratzbürstig und kühl, während die üppige Svetlana um so offenherziger ist. Ein nächtlicher Überfall von üblen Subjekten verhindert jedoch im letzten Moment eine eingehendere Beziehung. Und mit Katia, der scheuen Tochter seiner Wirtsleute, erlebt er schließlich eine frappierende Überraschung.

Viel irritierender aber ist die Begegnung mit Zakhor, dem Alten ohne Hände: "Sein Gesicht ein Grabstein über einem Leichentuch." Immer wieder taucht er auf, düster, mit merkwürdigen Ansinnen und Äußerungen. Angeblich ist er ein Auschwitz-Überlebender. Wie überhaupt ein latenter Hauch von Antisemitismus und dem verqueren Gegeneinander von Kunst und Faschismus zunehmend intensiver wird. Aberwitzige Thesen über Chopin als Wegbereiter Hitlers wabern da durch die wodka-geschwängerten Dispute und ein zuweilen ausgesprochen giftiger Sarkasmus bricht sich bahn.

Der Autor zeichnet starke Bilder und Charaktere, intelligent, emotional und mit souveränen Metaphern. Und es gelingt ihm mit beeindruckender Dramaturgie und brillanten Wendungen, die Stimmung zu verdüstern und zu steigern. Da kämpft sich der geniale Ergo Zeitos ins Finale vor, doch kann dieser Protégé Ostreichs ungestraft Sieger des Wettbewerbs werden? Da kommt es zum Eklat, denn im entscheidenden Moment spielt er zum Entsetzen und zur Begeisterung des Publikums den hitzig-bösen "Mephistowalzer" – Liszt im Chopin-Wettbewerb! Und das mit ungeahnt dramatischen Folgen. Doch selbst dieses Furioso ist noch nicht das Finale. Das setzt ein höchst ungewöhnlicher Epilog, ein Bericht aus dem KZ von verstörender Poesie.

Welch ein Debüt! Haben schon die ersten Kapitel mit diesem Gespür für hintersinnigen, trockenen Humor überzeugt, bannt der Autor in der Folge mit ebenso subtiler wie brachialer Sprachgewalt und entlässt sowohl den Ich-Erzähler wie den Leser erst mit diesem beklemmenden Ausklang in eine atemlose Stille der Nachdenklichkeit.

 

# Ollivier Pourriol: Mephistowalzer (aus dem Französischen von Riek Walther); 191 Seiten; Aufbau-Verlag, Berlin; € 17,50 WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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