JOHN BANVILLE: "SONNENFINSTERNIS"

"...und frage mich, wann genau der Zeitpunkt war, als mir dieser katastrophale Augenblick der Unaufmerksamkeit unterlaufen ist und ich die goldene Schale meines Lebens fallen ließ und sie zerbrach." Dieser schöne und zugleich unendlich melancholische Satz fasst gewissermaßen zusammen, was den erfolgreichen Schauspieler Alex Cleave dazu brachte, mitten in einem Monolog für immer die Bühne zu verlassen, gerade erst 50 Jahre alt.

Anfälle von lähmender Selbstwahrnehmung waren dem abrupten Ausstieg vorausgegangen und seine Flucht in das verkommene Haus der lange verstorbenen Eltern ist ein Zurück in die Erinnerung, dem Ursprung entgegen auf der Suche nach sich selbst. "Sonnenfinsternis" heißt dieser neue Roman von John Banville und der große irische Stilist lässt den aus seiner Selbstsicherheit gefallenen Mimen als Ich-Erzähler berichten.

Cleave will nicht mehr spielen sondern nur noch sein. Umgeben vom merkwürdigen Hausbesorger Quirke und dessen spröder Tochter Lily, viel intensiver jedoch von den Phantomen seines Lebens, ist er "von der Vergangenheit besessen". Es ist ein beängstigendes Schwanken zwischen Rückschau und Zukunftsangst an der Schwelle zum Altern. Es bedrängt und verwirrt ihn, gibt ihm beinahe sinnlich greifbare und dennoch nur schwer begreifliche Träume. Als Ehefrau Lydia dann ungebeten zu Besuch kommt, stört sie eher, denn, von jeher streitsüchtig, versteht sie nun noch weniger, dass er introvertierter ist, als sie je ahnte.

Doch auch die ferne Tochter Cass wird zu einer der Spukgestalten der Vergangenheit. Er und sie waren einander zugetan, trotzdem hatte er das Entrücken der hochbegabten aber psychisch Kranken nicht verhindern können. Und schließlich klopft auch noch der Tod an, denn die Schatten der Erinnerungen durchdringen auf düstere Weise längst auch die Gegenwart. Was ist wirklich und was kommt nach der Sonnenfinsternis...

Diese Identitätssuche zieht den Leser mit ebenso zwingendem wie verstörendem Sog in den Bann und der geradezu herzlos ehrliche Ich-Erzähler ist ein lupengenauer Beobachter, der tief in die Dinge hineinschaut und gar noch hinter sie. "Sonnenfinsternis" ist eine faszinierende Charakterstudie und Autor John Banville erweist sich einmal mehr als ein Meister präziser Sprachkunst, der mit sicherer Hand großartige Metaphern und Bilder von bezaubernder Melancholie zu schaffen versteht.

 

# John Banville: Sonnenfinsternis (aus dem Englischen von Christa Schuenke); 303 Seiten; Kiepenheuer & Witsch, Köln; € 21,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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