JOHN COLAPINTO: "EIN UNBESCHRIEBENES BLATT"

"Ein unbeschriebenes Blatt", hinter diesem zahmen Titel verbirgt sich einer der raffiniertesten Romane der Saison und nicht umsonst hat Steven Spielberg bereits die Filmrechte erworben. John Colapinto, der zuletzt mit der bewegenden Reportage "Der Junge, der als Mädchen aufwuchs" viel Beachtung fand, hat sich hier einer scheinbar längst bekannten Idee bedient: ein Autor wird mit dem gestohlenen Manuskript eines Kollegen berühmt aber nicht glücklich.

Colapinto jedoch konstruiert daraus als Ich-Erzähler Cal Cunningham einen Roman über einen Roman, der wie eine Zugfahrt mit überwiegend freundlichen Begleiterscheinungen beginnt, um sich immer mehr in eine wahrhaft atemberaubende Achterbahnfahrt zu steigern. Da ist dieser Cal mit seinen 25 Jahren so davon überzeugt, als angehender Künstler Großes vor sich zu haben, obwohl er statt den geplanten Bestseller zu schreiben nur in einer Buchhandlung jobbt und abends reihenweise 'One-Night-Stands' abstaubt. Mangels Geld haust er mit dem linkischen Stewart zusammen, dem er gönnerhaft all seine Abenteuer erzählt.

Welch ein Schock, als dieser dröge Jura-Student ihm eine Kurzgeschichte vom feinsten zu lesen gibt und Cal dann sogar entdecken muss, dass der stille Stewart aus seinen gesammelten Abenteuern einen geradezu genialen Schmöker geschaffen hat. Doch just an diesem Tag verunglückt der heimliche Schriftsteller tödlich! Und der Roman – hat ihn Stewart nicht sowieso um sein geistiges Eigentum betrogen? Und ist er eigentlich nicht eher nur eine Art Ghostwriter seines Lebens gewesen? Cal nimmt das Werk an sich und ein cleverer Agent macht ihn als seinen Roman zum Riesenerfolg. Und das Glück ist ihm weiter hold, denn zu seinem Schrecken hatte Stewart eine Kopie des Manuskripts ein seine heimliche Liebe Janet geschickt. Cal kann aber verhindern, dass sie es in die Finger bekommt und zugleich verlieben sich die Beiden so heftig ineinander, dass alsbald die Hochzeitsglocken läuten.

Doch man stiehlt nicht ungestraft das Leben eines anderen – es scheint eine Mitwisserin zu geben aus der Vergangenheit und diese Les hat sogar ein Beweisstück: "Sie war die Schlange in meinem Paradies, nicht mit einem Apfel sondern einem Aplle Powerbook in der Hand." Allerdings ist die skrupellose Schlampe schlimmer als nur geldgierig und der Ich-Erzähler schreibt sich nun in einen Wahn hinein. Wie weit muss er gehen, um sich befreien zu können, wenn doch jede böse Tat eine weitere heraufbeschwört?!

Ohne zu viel zu verraten: die Sogwirkung bis zum fulminanten Finale mit immer neuen Volten ist faszinierend. Die glänzend konstruierte Geschichte steckt voller hinreißender Szenen und baut eine höchst intensive Nähe zum Erzähler auf. Dieser Cal ist ein Aufschneider, in manchem ein Versager, ganz gewiss ein Betrüger und trotzdem – ein Sympathieträger der schrägen Art, den man einfach mögen muss. Und dieser Roman ist in jeder Beziehung ein gelungenes intelligentes Lesevergnügen.

 

# John Colapinto: Ein unbeschriebenes Blatt (aus dem Amerikanischen von Sonja Hauser); 287 Seiten; Piper Verlag, München; € 18,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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