BERNHARD HENNEN: "DER WAHRTRÄUMER"

"Der Wahrträumer" von Bernhard Hennen ist der fulminante Auftakt zu einem Fantasy-Projekt von nie gekannter Größe in deutscher Sprache unter dem Gesamttitel "Die Gezeitenwelt". Auf zwölf Bände ist die Chronik angelegt und Autoren der weiteren Bände sind auch solch renommierte Fantasy-Autoren wie Hadmar von Wieser, Karl-Heinz Witzko und Thomas Finn. Die von ihnen ersonne Welt haben sie in Zusammenarbeit mit Geophysikern, Archäologen, Anthropologen und Biologen als fantasievollen aber dennoch realistischen Kosmos entwickelt.

"Die Geschichte jener Walfängerin Alessandra begann an einem Spätsommerabend im 458. Jahr der Abwesenheit Gottes. Und sie begann mit einem Blutbad." Mit diesen Worten eröffnet als historische Erzählerin eine Schwester Dolores die Chronik einer verlorenen Zeit. Alessandra ist auserkoren, den Opfertod zu sterben, um die unheilvolle zweite Sonne abzuwenden, die täglich am Firmament wächst. Doch die junge Frau wird stattdessen ungewollt zur Mörderin und es hilft ihr nur die Flucht.

Die zweite Sonne aber ist ein Asteroid, der auf die erdähnliche Welt zurast, und als er einschlägt, gerät alles aus den Fugen. "Nichts war mehr, wie es sein sollte: der Himmel versteckte sein Antlitz hinter Wolken und Weiber zogen in den Krieg!" Ein Kirchenfürst will als 'Ordnende Macht' die Herrschaft an sich reißen und ein düsterer "Roter Orden" treibt sein ans späte irdische Mittelalter erinnernde Unwesen. Ehemalige Offiziere des Imperiums begehren auf, während überall Zerstörung, Klimakapriolen und Hungersnöte herrschen und ehemals blühende Zivilisationen darniederliegen.

Und da ist schließlich Seruun, der titelgebende Wahrträumer aus dem Volk der Windwanderer aus jenen kargen Steppen des Nordens, denen nun Eiszeiten drohen. Es sind urzeitliche Kämpfe und Geschehnisse voller Mystik und Magie in seiner indianisch anmutenden Welt der Reiter, Nomaden und Schamanen. Seruun muss viele harte Prüfungen bestehen, bis er die zerstrittenen Stämme und die mächtigen Viehherden als großer Visionär auf die Völkerwanderung gen Ajuna im Süden führen kann. Derweil entbrennt auch auf den anderen Ebenen der vielschichtigen Erzählung ein atemberaubender Kampf der Kulturen, während Alessandra als verfolgte Rächerin eine immer geheimnisvollere Rolle spielt.

Es ist, als läse man verschiedene Romane, jeder für sich ungeheuer spannungsreich, die dennoch in einer raffinierten Dramaturgie aufeinander zulaufen. Mit teils deftiger und zugleich wunderbar bildhafter Sprache ist der Roman außerordentlich dramatisch und von rauer Poesie geprägt. Nichts für Zartbesaitete sind manche archaisch drastischen Darstellungen, andererseits fesseln starke Bilder und Gefühle so, dass man das Werk bis zur letzten Zeile keine Sekunde zur Seite legen mag. Schon bald ist einem diese so andersartige Welt nicht mehr fremd, wozu hervorragende Zeichnungen und ein Glossar das Ihre beitragen. Fazit: dieses ganz und gar grandiose Abenteuerepos sollte ähnlich den Werken eines Tolkien auch Leserschichten weit über die Fantasy-Gemeinde hinaus begeistern können. Und wer sich auf diese Gezeitenwelt einlässt, wird unweigerlich den Folgebänden entgegenfiebern.

 

# Bernhard Hennen: Der Wahrträumer. Die Gezeitenwelt I; 633 Seiten; Piper Verlag, München; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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