JÖRG BERNIG: "NIEMANDSZEIT"

Die Vertreibung der Sudetendeutschen 1945/46 bleibt ein hässliches und immer wieder kontrovers diskutiertes Stück Geschichte. Dem jungen Autor Jörg Bernig ist nun das Kunststück gelungen, das schmerzliche Thema mit seinem Buch "Niemandszeit" zum Mittelpunkt eines gelungenen Antikriegs-Romans zu machen.

Es sind verzweifelte Menschen auf der Flucht vor den mordenden und brandschatzenden Revolutionsgarden der Sieger, die in einem verlassenen, abgelegenen Dorf im tschechisch-deutsch-polnischen Dreiländereck für kurze Zeit Unterschlupf finden. Und an diesem 3. September 1946, an dem der Roman spielt, treffen sich der junge Tscheche Tomas und die Deutsche Theres nach langer Trennung hier wieder.

Jemand denunzierte Tomas seinerzeit bei ihrem Vater und der stramme Nazi hatte ihn durch die Gestapo zur Zwangsarbeit verschleppen lassen. Nach der Niederlage hatte eine wütende Menge den Vater gelyncht und Theres war schwer verletzt nur dank eines Tschechen davon gekommen, der aus Abscheu vor all den Greueltaten von den Revolutionsgarden desertiert war. Tomas jedoch hat sich den Schergen als 'Jäger' angeschlossen, jenen Pfadfindern, die versteckte Deutsche aufspüren sollen. Zugleich aber ist er auf der Suche nach Theres, um mit ihr ganz weit fort zu fliehen.

In dem verwilderten Dorf halten Flucht und Vertreibung, Hass und Verheerung für ein paar Stunden "Niemandszeit" gewissermaßen den Atem an, um den versprengten Tschechen und Deutschen einen kurzen Traum von Frieden zu gewähren. Als jedoch Jäger Tomas schließlich hier auftaucht, beschwört er gegen seinen Willen erneutes Unheil herauf.

Mit einer exzellenten Dramaturgie und Momenten ebenso wunderbarer wie schmerzlich melancholischer Poesie versteht es Bernig, eine große Sogwirkung und unentrinnbare Nähe zu schaffen. Zudem ist das Thema der Vertreibungen bis heute von trauriger Aktualität geblieben. Und neben den Zahlreichen, die auf beiden Seiten Schuld auf sich luden, kommen die Vielen, die unschuldig in das Mahlwerk des Krieges gerieten: "Ihr habt niemandem geschadet. Aber reicht das?" Fazit: ein wichtiges Buch und ein großer literarischer Wurf zugleich.

 

# Jörg Bernig: Niemandszeit; 285 Seiten; Deutsche Verlagsanstalt, München; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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