JOHN LANCHESTER: "MR. PHILLIPS VON 6 BIS 7"

Mr. Phillips hat ein Problem und er weicht von den langjährigen berufsalltäglichen Gewohnheiten ab. Seit einer Woche ist der kleine Buchhalter arbeitslos und er weiß nicht, wie er es Mrs. Phillips beibringen soll. Vorläufig beschränkt sich der rundliche Mittfünfziger darauf, morgens in die City zu fahren und abends pünktlich nach Hause zu kommen.

"Mr. Phillips von 6 bis 7" hat John Lanchester seinen neuen Roman deshalb folgerichtig genannt. So viel Tageszeit irgendwie sinnvoll hinter sich zu bringen, ist für den eher fantasiearmen Pendler im typischen Angestelltenoutfit gar nicht so einfach. Zunächst beschäftigt er seinen buchhalterischen Geist mit ebensolchen kleinbürgerlichen Abschweifungen zu absonderlichen Berechnungen, während er durch London stromert.

Da Sex ein heimliches aber niemals konkret ehebrecherisches Interesse für ihn ist, kalkuliert er um Beispiel die Unwahrscheinlichkeit baldigen Geschlechtsverkehrs oder die jährliche Zahl von Frauen, die sich für englische Zeitungen nackt fotografieren lassen. Richtig skurril aber werden seine ungewohnten Stippvisiten in einem Pornoshop und in einem Sex-Kino, wo die Mischung aus verklemmter Neugier und schüchterner Geilheit harmlose Kapriolen von grandios trockener Satire schlägt. Doch das alles hilft wenig beim Ablenken vom eigentlichen Problem und selbst beim Überraschungstreffen mit dem Sohn zum Essen findet er keinen Ansatz, diesem vom Job-Verlust zu erzählen.

Und trotzdem bietet die Zwangsfreizeit Mr. Phillips an diesem sommerlichen Montag ein richtiges Abenteuer, denn plötzlich liegt er gemeinsam mit der von ihm angehimmelten Fernsehschönheit Clarissa auf dem Teppich einer Barclays-Bank, weil diese gerade von Räubern überfallen wird! Es ist einfach köstlich, was er währenddessen alles in seinem Buchhalterhirn philosophiert. Trotzdem, das Ergebnis ist noch immer frustrierend, als er schließlich pünktlich von seinem anstrengenden Tagewerk zur nichtsahnenden Mrs. Phillips heimkehrt.

Um so größer ist das Vergnügen an diesem Roman vom kleinen Mann und seinen kleinen Alltagsspinnereien, nachdem man ihm die Alltagsroutine so schnöde genommen hat. Mr. Phillips ist kein Held, er ist von herzerweichender Durchschnittlichkeit. John Lanchester hat ihn dennoch sehr sympathisch gezeichnet. Und allenthalben mit viel Augenzwinkern.

 

 

# John Lanchester: Mr. Phillips von 6 bis 7 (aus dem Englischen von Matthias Fienbork); 240 Seiten; Paul Zsolnay Verlag, Wien; € 17,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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