KLAUS KINSKI: "FIEBER. TAGEBUCH EINES AUSSÄTZIGEN"

Als Rezitator faszinierte er ein Millionenpublikum, er saß im Gefängnis und im Irrenhaus, als Schauspieler spielte er Mist ebenso gut wie große Rollen: Klaus Kinski, der unbändige Provokateur, der am 18. Oktober seinen 75. Geburtstag gefeiert hätte. Immer im Rampenlicht, extrovertiert bis zum Exhibitionismus und dennoch – es gab ein Geheimnis aus jungen Jahren.

Fast hätte er es bei seinem plötzlichen Tod 1991 mit ins Grab genommen und es war mehr ein glücklicher Zufall, dass ein Verehrer es 1999 im Nachlass einer Jugendliebe des Künstlers wiederentdeckte – Gedichte von Klaus Kinski! Geschrieben hatte er sie ab etwa 1948 und sein Manuskript unter dem Titel "Fieber. Tagebuch eines Aussätzigen" endet 1952. Ungewiss, ob es vollständig ist, schildert Kinskis Pariser Zimmergenosse Thomas Harlan, wie die Gedichte entstanden.

Kinski sei in jenen Jahren schon hypersensibel aber viel sanfter als später gewesen. Wenn er schrieb, dann füllte er Zeile um Zeile wie ein Besessener. Er deklamierte die Werke und man meint ihn raunen, grollen und brüllen zu hören, wenn man sie liest. Das ist manisch mit depressiv gefärbter Todeständelei und Anklängen, als träfe Nietzsche Gottfried Benn am Rande der Hölle. Und dessen persönlichen Einfluss auf den jungen Wilden spürt man bei Gedichten wie dem titelgebenden "Fieber" überdeutlich, denn es ist ähnlich düster, todesversessen und lodernd wie Benns "La Morgue".

Schon hier ein Meister der Sprache wenngleich noch mit einigen groben Kanten, tobt bereits der Expressionist, der Rezitator von Villon und Rimbaud, wenn er bei "Ach, gebt mir meinen Tod" die prophetische Zeile schreibt: "...und der Wahnsinn hat mir schon ein Angebot gemacht." Da wird das Gedicht "Irrenhaus" zur wüsten Philippika und mit all den galligen Metaphern, die Fäkales und Gotteslästerliches in geradezu lustvollem Ekel aufrühren, gebärden sich wüste, teils nur schwer zu ertragende Geniestreiche wie "Die Nonne", als kämen sie auf der ständigen Suche nach dem Absoluten frisch aus dem Fegefeuer.

Litt Kinski unter Größenwahn? Schon zu jener Zeit? Harlan, der langjährige Freund, weiß es besser: "Nein, seine Größe war dem Wahn jedes Mal um ein Lichtjahr voraus!" Auch wenn nicht alle der Gedichte die nötige Tiefe oder die vollkommene Wortgewalt zeigen, Kinski hätte vermutlich ein genialer Lyriker werden können. Er hat uns den Beweis vorenthalten, dennoch gilt die Prophezeihung, die er seinem Sohn gegenüber machte: "Ich kann niemals sterben." Mit diesem geretteten Bruchteil seines lyrischen Schaffens hat er sich posthum zu den Unsterblichen gesellt.

Abgerundet wird der hervorragend aufgemachte Großband mit selten oder bisher unveröffentlichten Fotos seiner jungen, aufstrebenden Jahre, die bereits manches ahnen lassen. Hinzu kommen Ablichtungen aus den Originalmanuskripten und ein Nachwort von Peter Geyer, dem die Nachwelt zu verdanken hat, dass dieser Schatz nicht unbemerkt verloren ging.

 

# Klaus Kinski: Fieber. Tagebuch eines Aussätzigen; Vorwort Thomas Harlan; 128 Seiten, ill. und div. Abb.; Eichborn Verlag, Frankfurt; 49,80 DM 

(öS 364,-/sFr 46.00/€ 25,46)  WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS) 

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