EVA STRITTMATTER: "HUNDERT GEDICHTE"

 Eva Strittmatter scherte sich nie um Moden des Schreibens und dennoch ist sie die populärste deutsche Lyrikerin unserer Zeit. Da vergehen sich ungezählte moderne Poeten der Willkür an der Poesie und erwerben Ruhm für Tage, sie aber überwindet selbst mit Reimen alle Grenzen zur wahren Größe und Schönheit der Lyrik und - ist zugleich die Erfolgreichste von allen!

 "Hundert Gedichte", herausgegeben und mit einem Vorwort von Klaus Trende, stellt die ganze Bandbreite dieser außergewöhnlichen Dichterin vor, die erst mit 43 Jahren ihren ersten Lyrikband herausbrachte und seither Auflagen in sechsstelliger Höhe mit weiteren Bänden erzielte. Viele Gedichte ließ sie jahrelang liegen bis zur Freigabe und der besondere dieses neuen Bandes sind die 22 bisher unveröffentlichten Werke.

 Noch einmal wird deutlich, wie sehr das Leben selbst, die Liebe und der Tod im Schaffen der Witwe des Romanciers Erwin Strittmatter unentrinnbar miteinander verzahnt sind. Sie sagt es unüberhörbar in ihrem Gedicht "Strahlung": Gedichte sind schwer und monolithisch wie der Tod und das Glück. Da malt sie in dieser Sammlung über Jahrzehnte geheimnisvoll schöne Bilder von fast transparenter Leichtigkeit, doch oft wohnt ihnen schon früh eine wissende Melancholie inne. Um so stärker sind die Erstveröffentlichungen aus den letzten Jahren nach dem Tod des geliebten Mannes von Schmerz, Liebe und zutiefst menschlicher Weisheit durchdrungen.

 Poeten dürfen "Ich" sagen, ja, sie müssen es sogar, lautet ihr Bekenntnis zu Wahrhaftigkeit und Lebenssucht. Wie dieses Sich-Öffnen des Innersten allmählich wächst, zeigen in großartiger Konsequenz jene drei Fassungen von "Vor einem Winter", die dennoch ein letztes Geheimnis bestehen lassen, etwas Verborgenes hinter letztem Wissen. Dennoch benötigen diese Gedichte, die sich so nachdenklich stimmend und unvergesslich einprägen, keine Erklärungen.

 Und immer wieder das Staunen: Eva Strittmatter reimt, sie hält feste Formen ein und ist dennoch neben all der sprachlichen Klarheit und Tiefe voller Frische. Da fasziniert dann "Platanenabend" mit genial einfacher Schönheit, als sei es von Goethe oder Eichendorff und ist gleichwohl ganz und gar aus unserer Zeit. "Hundert Gedichte" liegt jenseits jeder Avantgarde, vielleicht ist es gerade deshalb ein Juwel deutscher Lyrik.

 

 

# Eva Strittmatter: Hundert Gedichte; Hrsg. und mit Nachwort von Klaus Trende; 151 Seiten; Aufbau-Verlag, Berlin; € 12.80

  WOLFGANG A. NIEMANN  (wan/JULIUS)

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