MARC WORTMANN: "DER WITWENTRÖSTER"

45 Witwen auf einmal, alle über 80 und sie stinken vor sich hin, treiben Unfug und erinnern sich an fast gar nichts. In diese wenig fröhliche Gesellschaft gerät der 19-jährige Jan, der seinen Zivildienst im Frauenaltersheim in Hamburg-Altona ableistet. Ich-Erzähler Jan ist anfangs reichlich naiv und fällt immer wieder auf die Schrullen der Alten herein. Vom Personal wird er angemacht, weil er entsprechend sein Arbeitspensum nicht schafft und am schlimmsten wird es zur Adventszeit, denn das heimliche Schokoladenessen sorgt für den größten Horror: Verstopfungen.

Doch allmählich erkennt er jede seiner Witwen an ihrem Gestank und es beseelt ihn der Ehrgeiz, hinter das Geheimnis dieser stumpfen Mienen zu kommen. Alle leben in ihren oft kauzigen Ritualen, eng begrenzt vom körperlichen Verfall und den Resten an Geist und Erinnerung. Zug um Zug lernt er allerlei beklemmende Phänomene kennen und die versteckt schuldbewussten Einlassungen der sporadisch auftauchenden Angehörigen fördern seine wachsende Besessenheit, ja, es wird ihm immer klarer: Witwentrösten ist ein unermesslicher Beruf.

"Der Witwentröster" heißt denn auch dieser ebenso ungewöhnliche wie auf drastische Weise unterhaltsame Debütroman von Marc Wortmann. Dieser Witwentröster schleicht sich ein, deckt die unterdrückten Mangelerscheinungen der Alten auf, immer subtiler, immer raffinierter, gewissermaßen ein 'Witwenflüsterer' im wahrhaft exkrementalen Altenheimalltag. Die teils dumpfen, teils störrischen oder garstigen Greisinnen öffnen sich, vertrauen dem Witwentröster ihre seit langem vergrabenen Erinnerungen an.

Und - sie erwachen nach und nach aus ihrer Dämmerung, geben ihre Verstellung auf und sogar der allgegenwärtige Gestank lässt nach. Dass der von seiner Mission getriebene Jan schließlich die Kontrolle über das Geschehen verliert, ist dann auch nur noch ein zusätzlicher Dreh in dieser schwarzhumorigen und zugleich fast liebevollen Realsatire der sehr anrüchigen Art mit all ihren skurrilen Szenen und Dialogen. Marc Wortmann ist ein dicht gesponnener und jederzeit punktgenauer Volltreffer gelungen. Dem geneigten Leser sind allerdings zwei dringende Ratschläge zu erteilen: 1. nicht vor Mahlzeiten lesen und 2. als Muttertagsgeschenk könnte das Buch zur Enterbung führen!

 

# Marc Wortmann: Der Witwentröster; 348 Seiten; Kiepenheuer & Witsch, Köln; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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