STEPHANIE BISHOP: „DER JAHRESTAG“


J.B. Blackwood hat ihren Mann durch einen mysteriösen Unfall verloren, als er auf einer Kreuzfahrt im Sturm über Bord ging. Und was tut eine preisgekrönte Schriftstellerin, wenn ihr darüber hinaus auch noch das übrigen Leben wegbricht – sie schreibt eine Autobiografie.
Als solche hat die australische Erfolgsautorin Stephanie Bishop ihren jüngsten Roman unter dem Titel „Der Jahrestag“ verfasst. Diese allgemein nur J.B. genannte Lucie beginnt die Schilderung ihres Lebens mit einem unverhofften Höhepunkt ihres Lebens: ihr jüngstes Buch soll noch vor dem Erscheinungstermin mit einem der höchsten Literaturpreise ausgezeichnet werden.
Doch ausgerechnet mit Patrick, ihrem Mann, kann sie die noch geheime Neuigkeit nicht teilen. Zu sehr haben sich der rund 20 Jahre ältere Dozent für Filmwissenschaft und erfolgreiche Regisseur und seine einstige studentin auseinandergelebt. Über die Jahre ist er zunehmend ausgebrannt, während sie ihn allmählich im Erfolg überholte.
Allerdings will J.B. Ihre Ehe retten und deshalb bucht sie zum 14. Hochzeitstag eine Kreuzfahrt in kühle Gefilde. Zwei Wochen sind sie unterwegs bei ruhiger See und – es scheint zu wirken. Und vor allem der Sex ist so intensiv wie lange nicht mehr.
Nach einem besonders innigen Nachmittag in der Kabine kommt es jedoch zum Streit und Patrick geht zum Pool und zum Roulette-Spielen. Und er trinkt. Und dann zieht ein brachialer Sturm mit Monsterwellen auf, in dessen Verlauf J.B. Entsetzt mit ansehen muss, wie er über Bord geht.
Nah wie nur selten bei einem Roman ist man an einer Protagonistin, die selbst erzählt und das so atmosphärisch dicht, dass man immer mehr gefesselt ist. Aber auch durchaus verwirrt, denn J.B. erweist sich als sprunghafte Erzählerin, an deren Zuverlässigkeit immer mehr Zweifel aufkommen.
Verständlich ist da noch ihre erhebliche Verwirrung bei den Polizeiverhören auf dem japanischen Festland, wohin das Schiff sie dann brachte. Überraschenderweise aber reist J.B. trotz dieser unbegreiflichen Katastrophe nur wenige Tage später nach New York zu ihrer Preisverleihung.
Dabei beschreibt sie doch selbst, wie quälend die folgende Lesereise wird, wo immer wieder entgegen allen Absprachen die Sprache auf den Unfall kommt und sogar Videos der Schiffskameras vom Sturz ins Meer gezeigt werden. Allerdings hat man als Leser längst gemerkt, wie J.B. in ihren vielen Reflektionen Dinge auslässt und sogar Widersprüche erzeugt.
Und schließlich wird der psychologische so ausgeklügelte Roman zum Gerichtsthriller, denn Patricks Leiche wird gefunden und J.B. mit hoher Belastungstendenz angeklagt. Und selbst jetzt geht die Ich-Erzählerin eigenwillig mit ihren Erinnerungen um. Bewusst? Ist es Verdrängung? Und die Auswirkung alter Traumata?
Mehr sei jedoch von dieser eindringlichen Geschichte nicht verraten. Die mit der großen Frage spielt, wie verlässlich Erinnerungen sind und wie viel Ehrlichkeit man auch deshalb von einer Autobiografie erwarten darf. Fazit: ein ebenso komplexer wie anspruchsvoller Roman auf hohem inhaltlichen und sprachlichen Niveau.

# Stephanie Bishop: Der Jahrestag (aus dem Englischen von Kathrin Razum); 461 Seiten; dtv Verlag, München;
€ 26

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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