ALVARO ENRIGUE: VON
KÖNIGREICHEN HAST DU GETRÄUMT
Vieles ist über die Eroberung des mächtigen Aztekenreichs durch die gar nicht so
gewaltige Truppe der spanischen Konquistadoren bis heute ein Rätsel. Viele der
Geschehnisse in jenen Jahren, als die blühende Hochkultur in kurzer Zeit unterging, sind
schon damals ausführlich dokumentiert worden. Aber von den Eroberern.
Das hat der mexikanische Erfolgsautor Alvaro Enrigue geradezu als Einladung zu einer
Neuerzählung der Vorgänge empfunden und die Geschichte gewissermaßen neu erfunden. Mit
den historischen Hauptakteuren, aber eben fiktiv. Mit überwältigender Fabulierkunst ist
daraus der verwegene Historienroman Von Königreichen hats du geträumt
entstanden.
Er beginnt mit einer Art Festbankett im Palast von Axayacatl in der prachtvollen
Residenzstadt, dem heutigen Mexiko-Stadt. Gastgeberin ist Atotoxtli, Schwester und Ehefrau
von Moctezuma II., Herrscher des riesigen Aztekenreichs. Gäste sind Generalkapitän
Hernan Cortés und seine Offiziere der wilden Konquistadorentruppe.
Dass sie bereits das halbe heutige Mexiko erobern konnten und das quasi ohne echte
Verluste hat zwei gewichtige Gründe: zum Einen sind sie mit ihren Feuerwaffen und
den ebenfalls völlig unbekannten Pferden militärisch haushoch überlegen. Andererseits
konnte die Spanier ihre trotzdem eklatante zahlenmäßige Unterlegenheit wettmachen durch
scharen von indigenen Hilfstruppen. Die sich ihnen anschlossen, weil sie Moctezumas wegen
dessen rigider Expansionspolitik hassten.
Nun aber hat Moctezuma die Spanier bereitwillig und neugierig in seine
Hauptstadt einziehen lassen und die hinreißend geschilderte erste Begegnung des
Anführers Cortés - ein mürrischer Mann ohen Manieren - und dem ebenso
prunkvoll wie arrogant auftretenden Aztekenfürsten offenbart bereits den wenig
überraschenden Kulturschock.
Fast wäre der ungehobelte Spanier dabei getötet worden, als er in einer momentan
aufwallenden Begeisterung Moctezuma umarmen wollte. Die Gegensätze aber sind so gewaltig
wie die Missverständnisse, denn jeder hält den Gegenüber für minderwertig.
Unfähige und auch verlogene Übersetzer machen die diplomatische Katastrophe noch
schlimmer. Und dann sitzen die rüpelhaften Konquistadoren an der Tafel und leiden unter
Brechreiz, denn da tragen Priester Umhänge aus fauliger Menschenhaut und ihre wilden
ungewaschenen Mähnen sind blutgesprenkelt.
Die stolzen Azteken wiederum ätzen gegen diese Hinterwäldler, denn die
stinken nach Hund und Exkrementen. Und sind doch eine extrem unterschätzte
tödliche Gefahr, die man sogar sorglos im Palast umherstreifen lässt, unbewacht von
jeglichen der aztekischen Adler-Krieger. Doch während sie so unglaublich schludrig
hinsichtlich jeder Sicherheit sind, flezt sich Moctezuma in seinen Gemächern.
Seit Generationen herrscht Inzucht in den Adelskreisen und der tägliche Gebrauch
halizogener Plize steigerte die Degeneration ganz offensichtlich. Moctezuma, der
berühmteste Mann einer ganzen Welt fällt dank grotesker Fehleinschätzungen denn
auch einer Zirkustruppe zum Opfer. Und mit ihm dann ein Weltreich samt seiner
grandiosen Hochkultur.
Der Roman fokussiert sich auf diesen November 1519 und den folgenden Begegnungen
Moctezumas und der Eroberer und Zerstörer im Herzen seines Reiches. Das ist nicht nur
rasant erzählt und führt mitten ins Palastleben, es glänzt auch mit farbenprächtigen
und immer wieder faszinierenden Details. Fazit: bis zum absurden und nicht ganz
historischen Ende eine mitreißend erzählten Geschichte vor realem Hintergrund.
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