SALMAN RUSHDIE: „KNIFE“


„Warum heute? Echt jetzt? Es ist so lange her. Warum nach all den Jahren?“ Diese Gedanken schossen Salman Rushdie während jener fatalen 27 Sekunden durch den Kopf, in denen ein junger libanesischstämmiger Amerikaner immer wieder mit einem Messer auf ihn einstach.
1989 hatte ihn der finstere Ajatollah Chomeini wegen seines angeblich #Allah schmähenden Romans „die satanischen Verse“ mit der Fatwa belegt. Damit war der in Indien geborene und in England lebende Autor für jeden Muslim quasi vogelfrei. Weshalb er seither verborgen unter dem Schutz des Geheimdiensts leben und sich stets von Bodyguards begleiten lassen musste.
Seit dem Jahr 2000 lebte Rushdie in New York und sah sich inzwischen als weniger bedroht. Am 12. August 2022 aber passierte das eigentlich Unerwartete und es geschah ausgerechnet in Chautauqua im US-Staat New York, als Rushdie einen Vortrag darüber halten wollte, wie wichtig es sei, sich für die Sicherheit gefährdeter Schriftsteller einzusetzen.
Der Romancier überlebte das enthemmte Gemetzel – nicht zuletzt durch das beherzte Eingreifen mutiger Männer am Tatort – und er überstand die vielen Operationen und eine schwere Reha-Zeit. Vor allem aber triumphierte Salman Rushdie über die feige Tat und die Fatwa mit einer brillanten Antwort, zu der nur ein solch außergewöhnlicher Schriftsteller fähig war: durch ein Buch.
„Knife“ (Messer) lautet der Titel und es ist kein Roman, sondern „Gedanken nach einem Mordversuch“. Mit der ihm eigenen Sprachgewalt geht er geradezu nüchtern an die detaillierte Beschreibung des Attentatsversuchs, der vielen Operationen und der seelisch-geistigen Bewältigung der Geschehnisse auch vorher und nachher. Und immer scheint auch auf, dass all das seinen hinreißenden Sinn für schwarzen Humor nicht zu vertreiben vermochte.
„Worum es tatsächlich ging, das versuche ich in diesem Buch herauszufinden.“ Was er empfunden hat, als der Tod auf ihn zukam, nicht mit einem Schuss aus anonymer Distanz sondern mit einer so intimen, so persönlichen Waffe wie einem Messer. 15 Stiche trafen Gesicht, Arme, Oberkörper und das rechte Auge, das heraushing und nicht zu retten war.
Und der Attentäüter? Rushdie fallen etliche Worte mit A für den Mordgesellen ein, doch er marginalisiert ihn genau damit, dass er ihn durchgehend nur „A“ nennt. Um „Die satanischen Verse“ sei es dem nicht wirklich gegangen, denn davon hatte er offenbar bei seiner Radikalisierung durchs Internet kaum zwei Seiten gelesen.
„Ich fand ihn nur anachronistisch“, drückt Rushdie sein Unverständnis aus. Im >Übrigen entberht es ja nicht einer makabren Ironie, dass er als linksliberaler Verkünder von Offenheit, Toleranz und Freiheit ausgerechnet zu Beginn einer Veranstaltung eben dazu eine solche ideologisch verbrämte Mordtat erleben musste.
Mit faszinierender Brillanz schreibt der Kultautor über seine eigene Nahtoderfahrung (großes Lob an die kongeniale Übersetzung durch Bernhard Robben!) und Reflektionen zu Tat und Täter. Wo er sich Formulierungen für eine mögliche Aussage im Prozess gegenüber A überlegt hat: „Sie interessieren mich nicht, und auch die Ideologie interessiert mich nicht, die Sie zu repräsentieren behaupten und das so erbärmlich. Ich habe mein Leben, meine Arbeit, und es Menschen, die mich lieben.“
Und genau diesen Menschen widmet Rushdie das zweite Kapitel des Buches, das mit „Eliza“ überschrieben ist, seiner späten Liebe. Die deutlich jüngere Rachel Eliza Griffith, selbst Lyrikerin, Schriftstellerin und Fotografin, heiratete er erst 2021 und ihre Liebe wie die seiner Schwester und Kinder gaben ihm die entscheidende Willenskraft, die schwere Zeit zu bewältigen.
Zugleich ließen sie ihn mit diesem seinem bewegendsten Buch den eigentlichen Triumph feiern: statt sich dem Hass auf den Täter und seine Hintergründe hinzugeben, antwortet er mit Liebe. Und mit einem Meisterwerk, das zu den außergewöhnlichsten Büchern der Weltliteratur gehören dürfte und lange nachhallt.

# Salman Rushdie: Knife. Gedanken nach einem Mordversuch (aus dem Englischen von Bernhard Robben); 255 Seiten; Penguin Verlag, München; € 25


WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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