EMANUEL BERGMANN: „TAHARA“


Marcel Klein, Ende 40, gehört als „der große Klein“ zu den wichtigsten Filmkritikern der Kinobranche. Als er jetzt zu den Filmfestspielen in Cannes reist, läuft es jedoch von Anfang an nicht so reibungslos wie gewöhnt.
Damit beginnt „Tahara“, der neue Roman von Erfolgsautor Emanuel Bergmann. Mit ihm widmet sich ein absoluter Fachmann dem Reigen rund um die Glitzerwelt solcher Star-Aufläufe, denn der studierte Filmjournalist sammelte als solcher 18 Jahre Erfahrung in Hollywood.
Bevor es jedoch in den rasanten Roman geht, ist die Bedeutung des Titels von einiger Bedeutung für den späteren Verlauf. Das Wort steht für die Totenwäsche für verstorbene Juden: „Man reinigt den Körper sorgfältig von Kopf bis Fuß... damit der Tote so vor Gott treten kann, wie er zur Welt gekommen ist. Ohne Makel, ohne Schmutz, ohne Scham. Vielleicht auch ohne Sünde.“
Sein Artikel über die Totenwäsche seines Vaters war vor Jahren der Durchbruch für Marcel als Journalist gewesen, nachdem seine Karriereversuche in Hollywood ebenso gescheitert waren wie die frühe Ehe. Noch vorm ersten Interview begegnet er nun der schönen geheimnisvollen Heloise aus Metz, hier nur zu Besuch. Obwohl dieses wie auch die nächsten Wiedersehen immer wieder durch Marcels unbegreifliche Ungeschicklichkeiten und nicht zuletzt, weil er auch nicht in bester Verfassung ist, kontrovers verlaufen, hat er sich Hals über Kopf in sie verliebt.
Da lauern im Hintergrund Bankschulden und die Traumata seiner Kindheit mit dem abweisenden Vater kochen wieder hoch. Und gerade das hatte ihn damals in die Geborgenheit der Kinos flüchten lassen. Nun aber stolpert der berüchtigte Star-Interviewer verkatert und schlecht vorbereitet in die Solo-Audienz mit Eva Vargas.
Das Interview mit dem Star des Festivals wird zum Fiasko, aber auch zu einem heiklen Volltreffer, denn Marcel trifft blindlings auf zwei extrem wunde Stellen. Marcels Chefredakteur wird umgehend durch die drohenden Folgen in helle Aufruhr versetzt, Marcel aber hat nur noch Augen für die extrem launische Heloise.
Und ihr Ringen miteinander wird zum ganz großen intensiven Kino, denn beide haben ihre tiefsitzenden Geheimnisse. Die in dramaturgisch vollendetem Puzzle allmählich eröffnet werden. Der labile Erfolgsmensch, der viel lügt, die launenhafte Heloise, die seit Jugendzeiten eine notorische Diebin ist.
Die Chuzpe, mit der Marcel seit jeher immer wieder erfolgreich war, funktioniert in bedrohlicher Weise immer weniger. Doch was schert es den – vielleicht erstmals in seinem Leben – zutiefst liebenden Marcel. Vor allem als sie endlich ein Paar werden und es hoch erotisch brodelt. Alles weitere aber darf hier nicht verraten werden, denn was da außer manch satirischen Seitenhieben auf die Verrücktheiten eines Filmfestivals folgt, reißt voller berührender Wendungen mit. Und führt, um im Bild zu bleiben, in ein Oscar-reifes Finale.
Fazit: ein großartiger Roman mit überzeugenden Charakteren voller Geheimnisse und Brüche und auch für diejenigen eine hochklassige Liebesgeschichte, die mit dem Genre eigentlich weniger im Sinn haben.

# Emanuel Bergmann: Tahara; 285 Seiten; Diognes Verlag, Zürich; € 25

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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