ALEX HAY: „MAYFAIR HOUSE“


Dinah King, im Folgenden aber nur noch Mrs King genannt, war viele Jahre oberste Haushälterin der größten Villa in der Park Lane im vornehmen Londoner Stadtbezirk Mayfair. An diesem 2. Juni 1905 wird sie aus nichtigem Anlass mit sofortiger Wirkung entlassen.
Damit beginnt der Debütroman „Mayfair House“ von Alex Hay. Erbaut hatte dieses von der Nachbarschaft als steinernes Ungetüm geschmähte Haus voller Pracht, Prunk und Protz Wilhelm de Vries. Ein mit nicht ganz zweifelsfreien Diamantengeschäften zu riesigem Reichtum aufgestiegener Neureicher.
Nun ist er verstorben und seine sehr junge Tochter, stets nur Miss de Vries genannt, atmet auf, denn der Tyrann hielt sie isoliert und sie hat sehr viel nachzuholen. So plant sie noch in der Trauerzeit endlich einen großen Ball in ihrem Haus, ein Gesellschaftsereignis, das ihr auch einen Bräutigam aus der Aristokratie bescheren soll.
Die wirkliche Hauptfigur der Geschichte aber ist Mrs King und die hat nicht nur ein sehr persönliches Geheimnis, sie hat auch einen Plan. Der sich kongenial mit denen der neuen, so arroganten Herrin deckt. Den pompösen Ball, für den sie selbst noch die meisten Vorbereitungen getroffen hat, soll die Gelegenheit zum größten Raub der Kriminalgeschichte werden – während des laufenden Großereignisses.
Kühl und penibel genau geht die selbstbewusste 35-Jährige das Unternehmen an, indem sie ein Team aus Frauen mit sehr unterschiedlichen Talenten rekrutiert. Dafür und für das reibungslose Absetzen all der wertvollen Kunstwerke, Möbel, Teppiche und sonstigem Interieur tut sie sich mit einer einschlägig bekannten Dame zusammen.
Diese Mrs Bone hat ihr Vermögen großenteils mit einem regelrechten kriminellen Netzwerk zusammengetragen und kennt die benötigten Mitspielerinnen, darunter die Trapez-Artistinnen Jane I und Jane II. Mrs King hat jedes Detail ausbaldowert, ausgemessen, Fluchtrouten abgesteckt, um nichts einem Zufallsrisiko zu überlassen.
Der Clou aber soll der Raub während des Balls sein und dafür hat sich die Planerin etwas Besonderes einfallen lassen: als Zuständige für die Einladungen an die beste Gesellschaft hat sie dafür gesorgt, dass fast keine ihren echten Adressaten erreicht hat, denn – all diese feinen Damen und Herren werden von angeheuerten Schauspielern ersetzt!
Nach der sorgsamen Vorbereitung, die sich naturgemäß etwas zieht, wird es dann immer spannender im Roman. Bei einem derart komplexen Vorhaben geht natürlich nicht alles glatt und einige herbe Überraschungen können nur im letzten Augenblick ausgebügelt werden. Insgesamt jedoch gelingt der unglaubliche Coup: das Haus wird während des Balls fast komplett ausgeräumt.
Doch „Mayfair House“ ist nicht nur ein elegant ausgeklügelter Raub, denn es eröffnen sich nach und nach noch ganz andere Dimensionen, denn das Prunkstück von Haus war insgeheim nicht ganz das vermeintlich ehrenwerte Haus, als das es trotz des feudalen Neureichenanstrichs erschien.
Aber auch einige eher zwischenmenschliche Aspekte machen es interessant. Davon sei aber nur noch verraten, dass Mitleid mit der geschädigten Tochter de Vries unnötig wäre. Und wen diese vom Historiker Alex Hay so wunderbar in die Goldenen Jahre gleich nach dem Ende der viktorianischen Epoche des British Empire eingebettete Geschichte an den legendären Kultfilm „Oceans 11“ erinnert – zu Recht, und auch „Mayfair House“ ist absolut filmreif.

# Alex Hay: Mayfair House (aus dem Englischen von Regina Rawlinson); 407 Seiten; Insel Verlag, Berlin; € 20


WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS) 

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: BEL 1773 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de