NIKKI MARMERY: MEIN NAME IST
LITITH
Manchen Männern und den meisten Klerikalen wird dieses Buch missfallen, denn es erzählt
die Menschheitsgeschichte neu. Zumindest jene auf Grundlage der Bibel.
Erzählerin ist Lilith und Mein Name ist Lilith ist auch der Titel des
verwegenen Romans der britischen Journalistin Nikki Marmery. Lilith ist die erste Frau
Adams und sie beginnt ihren Bericht im Jahr 4004, gemäß Bibel der Zeitpunkt des
Sündenfalls im Buch Genesis.
Adam und Lilith lieben sich inniglich, bis er seltsame Allüren entwickelt. Zunehmend
maßt er sich Dinge an, schließlich sogar beim Sex: Ich bin dein Herr und du sollst
unter mir liegen! Als die gleichberechtigte Lilith ihn daraufhin auslacht, nimmt er
sich mit Gewalt, was er stets aus Liebe bekommen hatte.
Darüber kommt es zu Liliths doppeltem Sündenfall. In Wut und Verzweiflung ruft sie
nämlich nicht nach IHM, nach Jahwe, sondern nach IHR, der Heiligen Mutter Asherah. Einst
waren sie ein Götterpaar, bis ER sie verschwinden ließ, denn, so Lilith In
Wahrheit ist er ein eifersüchtiger Gott.
Noch schlimmer jedoch - Lilith hatte vom Baum der Erkenntnis gegessen und deshalb wusste
sie: ER kann kein Leben gebären. Seine rüpelhafte Engel jagen sie nun aus
dem Paradies und als sie sich widersetzt, wachsen auch ihr Flügel. Mit ungeahnten Folgen,
denn nun erkennt sie von oben die Beschränktheit des Garten Edens.
Gärten, Felder, die Hütte, Adam dieses Viereck ist alles. Und sie sieht, wie viel
mehr die Welt zu bieten hat an Landschaften und Menschen: ER hatte also gelogen. Wir
waren nicht die Ersten. Wir waren nicht die Einzigen. Als Lilith dann entdecken
muss, dass ER Adam eine neue Frau als Gehilfin macht, verwandelt sie sich in
eine Schlange und verführt die willfährige Eva, ebenfalls vom Baum der Erkenntnis zu
essen.
Jahwe schäumt und tobt, Eva aber wird nicht nur sterblich, sie wird für alle Zeiten auch
heller sein als Adam. Während sich Lilith nun mit dem Todesengel Samael auch er
ein unsterbliches Kind von Asherah auf die Suche nach der Himmelsmutter macht,
steht für beide fest, dass ER das natürliche Gesetz gebrochen hat, als er die Frau unter
das Joch des Mannes stellte.
Lilith wandert durch die Zeiten und je mehr sie erfährt, desto schärfer werden ihre
Vorwürfe gegen IHN, der gegen die Natur, gegen die Vernunft und gegen jede Gerechtigkeit
kämpft. Was sie besonders intensiv zur Zeit der Sintflut um 2347 v. Chr. mit Noah und der
Arche miterlebt.
Ein ebenso großartiges wie wuterregendes Kapitel, wenn in der Sippe des versoffenen
Greises die Frauen gedemütigt und bis zur Erschöpfung zu Gefäßen herabgewürdigt
werden, in die die rigorosen Männer das Leben pflanzen. Nur Noahs Frau Norea birgt
heimlich seherische Weisheit und sie verkündet Lilith, sie müsse zur Vollendung ihrer
Mission eine Prophetin suchen.
Und nachdem die Unsterbliche nun selbst Mutter eines Sohnes wird, den sie jedoch jung
verliert, gelangt sie 870 v. Chr. zur prachtvollen Königin Jezebel. Die huldigt dem
feminin geprägten Baals-Glauben, während in der Nachbarschaft die Jahwe-gläubigen
Israeliten alle Völker der Region blutig unterjocht haben.
Jezebel aber heiratet gegen Liliths Warnung den israelitischen König Ahab. Dieses pralle
morgenländische Märchen endet durch fanatische Priester Jahwes blutig. Und wieder zieht
Lilith weiter, stets angefeindet als eine Frau ohne Beaufsichtigung durch einen
Mann.
Bis sie im Jahr 37 ihre Prophetin findet, die erste Jüngerin und auch Geliebte eines
Mannes namens Jeshua, der Christus, der Gesalbte, genannt wird. Lilith aber erfährt von
dieser Maryam aus Magdala, dass es korrekt Chrestos heißen müsse: der gute Mann. Der im
Übrigen nicht nur den Gerechten misstraute, Frömmler hasste und Priester verabscheute.
Mehr aber sei hier nicht mehr verraten von den wahren Ereignissen um Jeshuas Vereinnahmung
durch Petrus und die übrigen Jünger. Nur noch so viel: Maryam war bei allem zugegen und
sie hinterließ das Evangelium Maryam, das dereinst die Welt erschüttern könnte.
Das Alles ist hinreißend erzählt, doch wer da meint, es seien feministisch angehauchte
Hirngespinste, der sollte unbedingt auch den umfangreichen wissenschaftlichen Anhang mit
manch erstaunlichen Belegen lesen.
Zum literarischen Hochgenuss dieses Romans trägt im Übrigen die Übersetzung durch
Sabine Herting das Ihre bei. Nicht von ungefähr hat sie u.a. Verdienste im Übertragen
von Werken Salman Rushdies, und als ähnlich orientalisch üppige Fabulierkunst erweist
sich auch die Erzählung Liliths. Fazit: ein grandioses Meisterwerk, das lange nachhallt
und Diskussionen auslösen wird.
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