CANDICE MILLARD: „DER FLUSS DER GÖTTER“


Eine ungeheure Faszination für alles Ägyptische, viel Nationalstolz und großer Entdeckerehrgeiz waren Mitte des 19. Jahrhunderts die Beweggründe der britischen Royal Geographical Society, ein besonders verwegenes Projekt in Auftrag zu geben: die seit jeher ungeklärte Frage nach der Ursprungsquelle des Nils.
Der Weg dorthin und vor allem die mutigen Männer, die das Wagnis unternahmen, füllt nun ein hochspannendes erzählendes Sachbuch, das zugleich die erste Veröffentlichung der US-Erfolgsautorin Candice Millard auf Deutsch ist. „Der Fluss der Götter. Die abenteuerliche Expedition zu den Quellen des Nils“ lautet der Titel.
Die erfahrene Autorin stellt jedoch zunächst ausführlich die drei zentralen Persönlichkeiten vor, die diese Forschungsreise unternahmen. Da ist der berühmte Richard Francis Burton (1821-1890), dekorierter Offizier der britischen East India Company. Eine Ausnahmepersönlichkeit sondergleichen mit manch exzessiven Attitüden, dabei ein wissenschaftlicher Autodidakt und zwanghafter Forscher.
Er beherrschte 25 Sprachen, war hochintelligent, ein Fechtmeister mit eisernen Nerven und so tollkühn, dass er in der Verkleidung eines indisch-muslimischen Kaufmanns als lebenslanger Agnostiker - aus reiner Neugier – die Hadj unternahm. Unter Lebensgefahr drang er bis zum Heiligsten der Muslime in Mekka vor.
Auch John Hanning Speke (1827-1864) war gewiss ein furchtloser Mann und wie Burton Offizier in Indien gewesen. Als Aristokrat und typisch englischer Gentleman mit einer intensiven Leidenschaft für die Großwildjagd war er allerdings ansonsten das Gegenteil zu Burton. Hinzu kam ein „äußerst reizbares Temperament“, wie der später konstatierte.
Da ein bis dahin vorgesehener Mitstreiter für die große Expedition kurz zuvor verstorben war, nahm Burton ohne Begeisterung Speke dennoch als Vermesser mit. Hinzu kam eine dritte Hauptperson, die aus typischen Gründen von der damaligen Geschichtsschreibung und bis heute trotz seiner großen Bedeutung weitgehend vernachlässigt wurde: Sidi Mubarak Bombay (1820-1885).
Er stammte aus dem afrikanischen Volk der Yao, war allerdings als Kind von Sklavenhändlern gefangen und nach Indien verbracht worden. Als sein Besitzer verstarb, bescherte ihm das die Freiheit und der kehrte in seine Heimat zurück. Für die spätere Expedition erwies er sich als unverzichtbar für die Führung und den Zusammenhalt der Träger und sonstigen Begleiter.
Der Weg von Sansibar aus tief ins wissenschaftlich unerschlossene Ostafrika sollte sich als schier unmenschliche Strapaze mit Angriffen, Hunger, üblem Wetter und schweren Krankheiten über zwei Jahre von 1857 bi8s 1859 hinziehen. Dabei wurden die heftigen Konflikte zwischen Burton und Seke zunehmend unüberbrückbar.
Das begann schon vorm Aufbruch, da Speke sich nicht mit der von Burton als selbstverständlich übernommenen Rolle als Anführer abfinden mochte. Der endlose Zug bis zum Tanganjikasee sowie – wegen dessen schwerer Krankheit ohne Burton – weiter zum Nyanza, dem später in Victoriasee umbenannten Gewässer, dem der Weiße Nil tatsächlich entspringt, war trotz allem ein einzigartiger Erfolg.
Der gleichwohl endgültig zum Zerwürfnis führte, da Burton den Bericht Spekes über die Entdeckung der Quelle in Zweifel zog. Der seinerzeit den offiziellen Anführer düpiert, dem er mit seiner Meldung an die begeisterte Royal Geographical Society vorprescht.
Es war schließlich Burton, der obsiegte, wogegen Speke erstaunlich schnell in Vergessenheit geriet. Und als er 1864 durch eine Schussverletzung umkam, blieben Zweifel, ob das wirklich ein Jagdunfall oder nicht eher ein Suizid gewesen war.
Während der viel zu wenig beachtete Sidi Mubarak Bombay später sich auch bei der legendären Expedition verdient machte, mit der Henry Morton Stanley den vermissten David Livingstone am Kongo ausfindig machte, endete Burtons Leben in bescheidenen Verhältnissen und von Krankheit geprägt.
Da ist es von tragischer Ironie, dass der polyglotte Abenteurer und erfolgreiche Schriftsteller, der auch mit seinen Übersetzungen des „Kamasutra“ und anderer Sittengemälden für Furore sorgte – vor allem im prüden viktorianischen Empire – ein erzkatholisch erzogene Dame aus altem Adel geheiratet hatte.
Diese Arundell Burton liebte ihren Mann zwar abgöttisch, verbrannte nach seinem Tod jedoch das Manuskript seines Opus magnum, der Übertragung des erotischen orientalischen Meisterwerks „Der parfümierte Garten“ ins Englische. Um sein Seelenheil zu retten.
„Der Fluss der Götter“ darf als gründlich recherchiertes Sachbuch gelten, für das Candice Millard auch intensiv vor Ort recherchiert hat. Zugleich liest es sich wie ein exzellent geschriebener Abenteuerroman mit außergewöhnlichen Hauptfiguren. Fazit: ein Höchstgenuss von historischem Forschungsbericht aus wilden Zeiten.

# Candice Millard: Der Fluss der Götter. Die abenteurlriche Expedition zu den Quellen des Nils (aus dem Amerikanischen von Irmengard Gabler); 413 Seiten, div. SW-Abb.; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 28

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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