INÈS BAYARD: „STEGLITZ“


Die französische Autorin Inès Bayard lebte zu Beginn des ersten Corona-Lockdowns in Berlin-Steglitz. Die seltsame, zuweilen beklemmende Atmosphäre dort schlug sich ganz offensichtlich auch in ihrem zu dieser Zeit entstandenen neuen Roman nieder, der denn auch den Titel „Steglitz“ trägt.
In dem gediegenen Stadtteil lebt Leni Müller mit ihrem Mann Ivan, einem erfolgreichen Architekten, der umständehalber im Home-Office arbeitet. Doch es ist eine merkwürdig kommunikationslose Beziehung und als ein Polizeikommissar wegen einer sogenannten Nachbarschaftsbefragung auftaucht, erklärt Ivan diesem die einsilbigen Antworten Lenis lapidar: „Meine Frau ist nicht besonders redselig.“
Aber auch sonst bleibt die ebenso unterwürfige wie willenlos wirkende Frau scheu und bedürfnislos. „Dass die Zeit ohne Aufregungen und Überraschungen verging, genau das machte sie glücklich.“ Was man als Leser an ihrem Verhalten jedoch kaum erkennen kann. Zumal selbst die kleinen Einkäufe sie offenbar beklommen machen.
Und sie reagiert geradezu panisch, als Ivan eine Dienstreise ankündigt, natürlich ohne sie. So undurchschaubar Leni in ihrer labilen Verfassung ohnehin schon bleibt, so steigert sich die Überforderung durch die Welt da draußen ins Erratische, je länger sie allein zurechtkommen muss.
Es kommt zu Wahnvorstellungen, wo sie in einer Bar von einer grell geschminkten Frau angesprochen wird. Die Leni nicht erkennt, obwohl es doch angeblich ihre Mutter ist. Im nächtlichen Park dann spricht sie ihr Vater an – der aber bereits vor Jahren verschwand und Suizid beging. Den allerdings wiederholt er hier auf offener ühne, indem er sich erschießt.
Mögen das Hirngespinste sein, vielleicht aus einem Kindheitstrauma, trifft die nächste Wendung Leni ganz real und wirft sie endgültig aus der Bahn: ihr Bruder taucht plötzlich auf und wirft sie im Auftrag Ivans aus der Wohnung. Die er angeblich für seine neue Partnerin benötigt.
Ohne Wohnung und Geld landet Leni in einer verrufenen Spelunke und muss froh sein, ein Auskommen gefunden zu haben, so übel sie auch ausgenutzt wird. „Steglitz“ ist ein dunkler, nebulöser Roman eines Wahns um eine schwer traumatisierte Frau,. Wobei sie eine unzuverlässige Protagonistin bleibt, so unzuverlässig wie ihre kafkaesken Lebensumstände.
Die schließlich noch mit einer überraschenden Wende aufwarten, ohne diesen in Watte gepackten Alptraum wirklich aufzulösen, der gleichwohl eine seltsame Sogwirkung entwickelt.

# Inès Bayxard: Steglitz (aus dem Französischen von Theresa Benkert); 188 Seiten; Hanser Verlag, München;
€ 22

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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