LAUREN GROFF: „DIE WEITE WILDNIS“

 
Eine wahrhaft archaische Geschichte erzählt die amerikanische Erfolgsautorin Lauren Groff in ihrem neuen Roman: ein junges Mädchen flieht aus einem Fort am James River in die unerschlossenen Wälder nördlich dessen, was später der US-Staat Virginia werden sollte.
„Die weite Wildnis“ heißt der Titel und es das frühe 17. Jahrhundert. Englische Siedler erleben einen entsetzlichen Winter in ihrem primitiven Fort. Bitterster Hunger und dann brechen auch noch die Pocken aus. Wie schlimm aber können die Gründe sein, selbst dieses Elebend gegen all die lauernden Gefahren in den bedrohlichen Wäldern einzutauschen?
Doch erst einmal steht nur die Flucht der etwa 16-Jährigen im Mittelpunkt. Als Kind hatte die Gattin eines Goldschmieds sie als Leibeigene aus einem Londoner Waisenhaus gekauft. Inzwischen mit einem Pastor verheiratet, wurde das Mädchen mitgeschleppt, als dieses strenggläubige Paar in die Neue Welt übersiedelte.
Nicht von ungefähr nach dem letzten Buchstaben im Alphabet „Zett“ gerufen, hatte sie das neugeborene aber behinderte Baby Bessie zu betreuen. Nun jedoch lebt das Kind nicht mehr und Zett flieht in die Wildnis in diesem Winter, in dem der gefrorene Boden nicht einmal zuließ, die Toten von Hunger und Pocken zu begraben.
Ein Messer, ein Beil, eine dicke Decke und etwas zusätzliche Kleidung – alles gestohlen – hat sie in der Eile an sich raffen können. Und jetzt gitl ihre größte Angst erst einmal nicht den wilden Tieren des unendlichen unbekannten Waldes, sondern möglichen Verfolgern aus dem Fort: „Selbst ein guter Mann war todbringender als der schlimmste aller Bären.“
Nun steckt sie im täglichen Überlebenskampf mit schier unmenschlichen Herausforderungen. Die Suche nach Essbarem, die lauernden Tiere, Verletzungen und Fieber zwingen zu Pausen. Dabei ist das Ziel völlig vage: hoch im Norden, das hat die Analphabetin auf Karten gesehen, sollen die Franzosen sein.
Wie sie gelernt hat, sind das zwar furchtbare Papisten, aber ist doch derselbe Gott, sagt ihr klarer nüchterner Verstand. Und je länger sie flüchtet, desto öfter kommen die Erinnerungen gerade auch an die Gewalt der Männer. Ihre Bigotterie, die Erniedrigungen, die Gewalt, der Missbrauch: „Doch war von Männern freilich kein gesunder Menschenverstand zu erwarten, von frommen schon gar nicht.“
Was wunder, dass sie je mehr sie an all das Schlimme zurückdenkt, das ihr widerfahren ist, den stets gepredigten Glauben an Gott verliert. Wenn die Siedler solche Überheblichkeit ausleben und ihr Egoismus bis zum Kannibalismus reicht, da schält sich für die Flüchtende ein rein archaisches Sein ohne Menschenbilder von Gott und Vergebung heraus.
„Die weite Wildnis“ erinnert immer wieder an die rauen Romane von Cormac McCarthy und wie bei ihm sind manche Passagen ebenso grandios wie schwer erträglich. Fazit: ein außergewöhnlicher, bis zuletzt zutiefst packender Roman, allerdings nichts für Zartbesaitete.

# Lauren Groff: Die weite Wildnis (aus dem Amerikanischen von Stefanie Jacobs); 282 Seiten; Claassen Verlag, Berlin; € 25

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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