THOMAS HARDING: WEIßE
SCHULD
Wenn von Sklavenhalterei und ihren Auswüchsen die Rede ist, denkt man automatisch vor
allem an die Südstaaten der USA. Und auch an den erfolgreichen Sklavenaufstand auf der
Karibikinsel Santo Domingo, aus dem 1804 der unabhängige Staat Haiti entstand.
Großbritannien hingegen, dessen Schiffe unzählige unglückselige Schwarzafrikaner in die
Sklavengebiete transportierte, aber auch selbst Sklaven in seinen Kolonien hielt, stand
und steht bei diesem Thema eher in der zweiten Reihe. Ja, es wird sogar fast zu den
Guten gerechnet, denn bereits 1807 verbot das Parlament den transatlantischen
Sklavenhandel.
Dass die schlimme Vergangenheit britischer Sklavenhalterei sehr zu Unrecht aus dem
kollektiven Gedächtnis des Vereinigten Königreichs verschwunden ist, hat nun der
britische Erfolgsautor Thomas Harding herausgefunden und als erzählendes Sachbuch unter
dem Titel Weiße Schuld. Ein Sklavenaufstand und das Erbe der Sklaverei
öffentlich gemacht.
Auslöser war für ihn die Entdeckung, dass auch seine Vorfahren seinerzeit vom
Sklavenhandel profitiert hatten. Die weltweiten Proteste der
Black-Lives-Matter-Bewegung taten das Ihrige dazu und Harding deckte auf, wie
weit das Weißwaschen sich durchgesetzt hat. (Es sei an den Film Queimada aus
dem Jahr 1968 erinnert, in dem Marlon Brando die Hauptrolle auf der fiktiven britischen
Sklaveninsel spielte der trotz hervorragender Qualitäten mangels Interesse ein
Flop wurde!).
Dabei war insbesondere die Kolonie Demerara, seit 1814 in britischem Besitz und heute als
ehemals British-Guayana ein selbständiger Nachbarstaat Venezuelas bekannt, eines der
finstersten Kapitel der Sklaverei. Die hier betriebenen Zuckerrohrplantagen waren
äußerst lukrativ, nicht zuletzt dank der besonders heftig angewandten Brutalität bei
der der Ausbeutung.
Harding beschreibt die Verhältnisse, die im August 1823 zu einem großen Aufstand
führten, äußerst detailgenau. Dazu diente nicht nur exaktes Kartenmaterial, denn dieser
Sklavenaufstand ist der bestdokumentierte überhaupt. Da lag das akribisch geführte
Tagebuch des Missionars und Pfarrers John Smith vor. Dessen Bethel Church stand auf der
Success-Plantage.
Auf ihr lebten Jack Gladstone und sein Vater Quaimana, die nach wiederholten
willkürlichen Strafmaßnahmen der brutalen Aufseher zum Aufruhr aufriefen. Hinzu kamen
die Memoiren eines weißen Milizionärs, etliche Zeitungsartikel sowie die Protokolle der
anschließenden Gerichtsverhandlungen und über die Unterhausdebatten zur Abschaffung der
Sklaverei in London.
Harding betont die Bedeutung der Verwendung bestimmter Begriffe in seinem Werk. So nennt
er die in die Kolonien Verschleppten 80 Prozent der über 16-Jährigen von ihnen
noch in Afrika geboren - versklavte Menschen, denn Sklave sei keine
Eigenschaft sondern ein Zustand. Wichtig ist bei der Wortwahl zudem, dass er den von der
Obrigkeit verwendeten Begriff Rebell nicht gelten lässt. Der impliziere ein
unrechtes Handeln der Aufständischen, zutreffend sie vielmehr der Begriff
Abolitionist, der auch im politischen Sinne für Menschen steht, die die
Sklaverei bekämpfen.
Bis in kleinste Detauls enthüllt der Autor nun die Vor- und Nachgeschichte des
Sklavenaufstands von Demerara und besonders beklemmend die blutigen Ereignisse selbst.
Vier zentrale Protagonisten stehen dabei immer wieder im Mittelpunkt. Neben dem
versklavten Anführer Jack Gladstone der Missionar John Smith, der weiße Kolonist John
Cheveley und schließlich John Gladstone.
Dieser Politiker (und Vater des späteren Premierministers William Gladstone) verdankte
seinen Reichtum vor allem seinen Zuckerplantagen in Demerara und dort insbesondere als
einer der größten Sklavenhalter mit bis zu 2.000 versklavten Menschen. Bei Gesprächen
mit Nachfahren von ihm wie auch mit Experten und Politikern, die jeweils zwischen den
Kapiteln eingefügt sind, stellt der Autor einen beeindruckenden Bezug zwischen dem in
seinen Auswirkungen folgenreichen Sklavenaufstand und der Gegenwart her.
Während Harding die Ereignisse auch dank des exzellenten Zeit- und Lokalkolorits zu einer
ebenso fesselnden wie beklemmenden Lektüre macht, lässt er einen schließlich nicht nur
mit Wut im Bauch zurück. Mit blanker Empörung erfährt man abschließend einerseits von
der tiefen Verstrickung der Church of England in dieses besonders schändliche Kapitel
britischer Kolonialgeschichte: fast 100 Geistliche waren offiziell registrierte
Sklavenhalter.
Und um noch einen draufzusetzen: John Gladstone sorgte als einflussreicher Politiker
dafür, dass die vielen tausend Sklavenhalter für den Verlust ihres Eigentums
vom britischen Staat entschädigt wurden. Von einer Entschädigung der Sklaven ist dagegen
nichts bekannt.
Fazit: ein hervorragendes und längst überfälliges Buch zu einem bewusst
vernachlässigtem Thema unendlichen unverzeihlichen Unrechts.
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