ILIJA TROJANOW: „TAUSEND UND EIN MORGEN“


Nicht nur die deutsche Gegenwartsliteratur strotzt seit geraumer Zeit vor Dystopien, gewissermaßen als wolle man im aktuellen Jammertal voller Krisen und Konflikten damit trösten, dass die fernere Zukunft womöglich noch viel unerfreulicher sein könnte.
Um so mehr überrascht und erfreut da Ilija Trojanow mit seinem jüngsten Werk „Tausend und ein Morgen“, denn damit legt der Erfolgsautor einen lupenreinen utopischen Roman vor. Der führt mit einem üppigen Personentableau in ein wahrhaftiges Paradies, in dem sämtliche Existenzprobleme der Menschheit zum Wohle aller gelöst worden sind.
Doch diesen Menschen geht es sogar so gut, dass sie sich zu humanistischen Wohltaten bemüßigt fühlen. Wie Cya, die als Chronautin zu ethischen Optimierungsmissionen auf Raumzeitreisen geht, um ihrem Credo zu folgen: „“Wer im Paradies weilt, solle jenen helfen, die unverschuldet nicht im Paradies seien, sonst erweist sich der Mensch des Paradieses unwürdig.“
Und Cya ist nicht die einzige, die sich in die Vergangenheit aufmacht. Hilfe hat sie dabei vom quasi allwissenden KI-Medium GOG, das in ihren Kopf implantiert ist. Auf geht es nun nach „annodazudort“ und eröffnet wird der Einsatzbericht mit verwegenen Versuchen, sich in den Kampf gegen den Kolonialismus in der Karibik einzuschalten.
Da folgen so viele Simulationen, um die Piratin Fliege vor dem Galgen zu retten, bis es klappt. Was aber erst ein bescheidener Aufgalopp zu weit verrückteren Abenteuern ist, von denen Cya nur hin und wieder zur Erholung und zu ihrem Geliebten (natürlich gibt es auch in einem zukünftigen Paradies ein Liebesleben!) in der heimischen Gegenwart zurückkehrt.
Immer wieder werden vergangene Geschehnisse abgeändert, allerdings können auch die Chronautin dem Tod nicht ins Handwerk pfuschen. Ansonsten aber tun Cya und ihre Mitstreiter im jeweiligen „Damalsdort“ viel Gutes. So greift sie selbst zum Beispiel unter anderem in die Russische Revolution und überhaupt immer wieder in das konfliktreiche und Millionen Menschen entwürdigende „Kapitalozän“ ein.
Zeitreisen, das bedeutet: „Die Zeit ist hier, der Ort ist jetzt!“ Und was dabei abgeht, ist genial verwegen mit ebenso sprachgewaltiger wie derber Prosa geschrieben und wer sich auf dieses hinreißende Delirium einlässt, wird schlichtweg mitgerissen von dieser Magie.
Ilija Trojanow überbietet sich hier selbst als Sprachzauberer, der mit der „onomatopoetischen Wirkung der Wörter“ jongliert. Das ist hochintelligent und zugleich wie auf auf einem farbenflirrenden LSD-Trip. Und der gewaltige, auf wundersame Weise philosophische utopische Traum weckt schließlich die sehnsüchtige Frage: Kommen unsere Retter aus diesen krisengeschüttelten Zeiten aus der Zukunft?!

# Ilija Trojanow: Tausend und ein Morgen; 521 Seiten; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 30

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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