DANIEL WISSER: „0 1 2“


Erik Montelius starb 1991 mit Ende 30 bei einer Krebsoperation, wurde mittels Kryo-Verfahren eingefroren und im Jahr 2021 eher unfreiwillig wieder „aufgetaut“.
Mit der Verwirrung des Ich-Erzählers Erik in den ersten Stunden der Bewusstwerdung beginnt der neue Roman des österreichischen Erfolgsautors Daniel Wisser unter dem Titel „0 1 2“. Der im Übrigen auf Eriks damaliges Wirken als nerdiger Computerentwickler und seine geniale Entwicklung des ternären Systems hinweist. Aus dem bekanntermaßen nie ein Erfolgsmodell wurde.
Als Wiedergeborener auf dem Bewusstseinsstand vor 30 Jahren hat Erik erst einmal seine Not, manches zu begreifen. Noch immer sind Verbrennerautos die Norm, die Menschen wischen ständig auf Dingern herum, die wie handliche Kassettenrecorder aussehen, und fast alle tragen OP-Masken (Corona!). Es hat etwas Lakonisch-Satirisches, wie Erik das Gehabe all der „Einmalgeborenen“ analysiert.
Auch physisch ist er arg geschwächt und die Zweifel an der Dauerhaftigkeit seines zweiten Lebens erhalten einen kräftigen Schub durch Äußerungen, die er im Krankenhaus aufschnappt. Da erfährt er, dass seine Frau Kristina – mittlerweile „echte“ 61 Jahre alt – damals seinen Geschäftspartner Haberler geheiratet hat.
Der zudem die gemeinsamen Erfindungen für sich vereinnahmt hat. Noch verdächtiger aber erscheint die Tatsache, dass die damalige letale Operation von einem Freund Haberlers durchgeführt wurde. Und dann wird Erik auch noch unfreiwillig Ohrenzeuge einer Anweisung an Dr. Lillemor Hanson, die für ihn zuständige Psychologin für die Rehabilitation von Koma-Patienten, dass die Betreuung zum 30. November, also in knapp drei Wochen, einzustellen sei.
Für den nüchternen Zahlenmystiker, der emotionale Lebensereignisse gern mit den Texten von Beatles-Songs umschreibt, steht somit fest, dass man ihn offensichtlich erneut sterben lassen will. Wahrlich schlechte Aussichten, denn er hat nichts – kein Geld, kein Zuhause und als wiedererweckter Krypto-Patient nicht einmal einen Ausweis oder sonstige Papiere.
Aber – er erweckt Medieninteresse! Und er erhält einen Buchvertrag und der ist genau die Grundlage dieser hinreißenden Geschichte, denn deren Niederschrift liefert die Rahmenhandlung für das Geschehen, das je schräger desto spannender wird. Da ist die sich anbahnende Liebesgeschichte fast nur eine vergnügliche Randnotiz, vor allem aber Eriks Weg zur Rache pflügt ebenso sarkastisch bis zynisch durch sein zweites Leben wie die Nicht-Existenz eines Menschen ohne Papiere für aberwitzige Szenen sorgt.
Immer wieder glänzt dieser intelligente und sehr hintersinnige Schelmenroman mit herrlich trockenem Humor der österreichischen Art, der dabei en passant eine Menge Gesellschaftskritik einfließen lässt. Fazit: dieses Meisterwerk ist ein außergewöhnliches Lesevergnügen und im Übrigen absolut filmreif.

# Daniel Wisser: 0 1 2; 447 Seiten; Luchterhand Literaturverlag, München; € 25


WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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