NEAL STEPHENSON: TERMINATION
SHOCK
Ein Termination Shock ist unwissenschaftlich gesagt in etwa das, was passiert, wenn ein
Prozess, der etwas Positives bewirken soll, mittendrin abrupt abgebrochen wird. Das
bereits Bewirkte wird mindestens vernichtet, schlimmstenfalls aber sogar ins Gegenteil
verkehrt.
Termination Shock ist auch der Titel des jüngsten Geniestreich des
US-Kultautors Neal Stephenson. Offenbart wird hier nicht weniger als ein visonärer
Öko-Thriller aus der ganz nahen Zukunft.
Absolut filmreif führt er sich ein mit Frederika Matilde Louisa Saskia, Königin der
Niederlande, als Pilotin eines Privatjets. Den Zielflughafen Houston, Texas, kann sie
nicht anfliegen, da die aktuell dort herrschenden Extremtemperaturen jeglichen Flugverkehr
unmöglich machen. Als Ausweichflughafen muss Waco herhalten, denn nach einem Unwetter
sind die Temperaturen dort auf nur noch 43° gesunken.
Es kommt allerdings zu einer Bruchlandung wegen einer Horde von Wildschweinen, die über
die Landebahn jagt. Diese Tiere sind in ganz Texas zu einer gefährlichen Landplage
geworden und hier überleben Königin Saskia und ihre Begleiter nur, weil der
kampferprobte Veteran Rufus Grant schwer bewaffnet eingreift.
Rufus wird weiterhin eine wichtige Rolle spielen und das nicht nur, weil er die
Wildschweine auf den Tod hasst und verfolgt, nachdem sie seine Tochter gefressen haben.
Ansonsten aber ist die verwitwete Monarchin eine der Hauptrollen. Sie ist hier auf dem Weg
zur anderen Hauptfigur, dem Milliardär R. R. Schmidt, allgemein McHooligan
genannt.
Während weltweit Hilflosigkeit gegenüber all den klimatisch bedingten Katastrophen
herrscht, die ganze Staaten mit Untergang oder Verdorren bedrohen, hat Schmidt eine
verwegene Idee der Rettung. Ohne Genehmigungen oder Förderungen staatlicher Stellen will
er sie auf eigene Faust durchsetzen.
Dafür hat er an der Grenze zu Mexiko in einem Gebirgsmassiv die größte Kanone der
Welt bauen lassen. Ähnlich den Eruptionen bei ganz großen Vulkanausbrüchen sollen
damit Gigatonnen von Schwefel in die Stratosphäre geschossen werden, um einen glo9balen
Kühlungseffekt zu erzielen.
Nicht nur Naturschützer laufen sturm gegen das Vorhaben wegen seiner potentiellen
Risiken, ganze Staaten sehen das Projekt höchst kritisch. Eben das ist der Grund, warum
Schmidt etliche Staatsoberhäupter nach Texas eingeladen hat zu einer vertrauensbildenden
Zusammenkunft samt Demonstration der Kanone.
Stephenson ist berühmt für seine umfassende technologische und sonstige
wissenschaftliche Faktengenauigkeit und das gilt auch für diesen auch im Umfang
gewaltigen Roman. So erläutert er unter anderem ausführlich Details zu
Pina2bo, die Schwefelkanone, wie auch andere wesentliche Aspekte, die den
beunruhigenden Realismus von Termination Shock anschaulich machen.
Doch trotz des breiten Erzählstroms fesselt der Roman immer mehr, denn es geschehen
zwischendurch nicht nur immer neue Katastrophen, von denen nicht jedes Mal klar ist, ob
sie nur dem Klima geschuldet sind. Die Widerstände überschreiten nämlich jegliche
Grenzen und das auch Seiten ganzer Staaten.
Nicht von ungefähr, denn die tatsächlich erzielbaren Effekte der Schwefelkanone wirken
nicht überall gleichermaßen positiv. Während zum Beispiel die Niederlande, Bangladesh
oder die Malediven auf Hilfe gegen die Überflutung hoffen dürfen, bringen die Folgen
dieses Solar-Geoengineering unter anderem in Indien die Monsun-Perioden gravierend
durcheinander.
So wird Pina2bo sogar Ziel terroristischer Attacken, während im Himalaya
Agent Laks auf geheimer Mission unterwegs ist. Er ist ein Meister der Martial Arts aber
auch ein fehlgeleiteter Fanatiker mit Sonderauftrag an der LAC, der Line of Actual
Control, dem hochbrisanten Grenzverlauf zwischen Indien und China.
Spätestens im letzten Drittel des Romans wird denn auch aus dem präzise untermauerten
Öko-Thriller ein packender Techno-Thriller. Wie stets erzählt Neal Stephenson auch hier
auf breiter Ebene und gibt den Charakteren bis hin zu Nebenrollen interessante Konturen.
Fazit: ein ebenso komplexes wie beunruhigendes Meisterwerk für anspruchsvolle Leser.
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