MEGAN CAMPISI: SÜNDE
Megan Campisi ist vor allem als Autorin erfolgreicher Theaterstücke bekannt. Nun aber hat
die US-Autorin ihr erstes Buch vorgelegt und kredenzt damit einen außergewöhnlichen
Historienroman.
Sünde lautet der Titel und die Geschichte widmet sich einem Phänomen, das
kaum bekannt aber historisch verbürgt ist, den sogenannten Sündenesserinnen. Die waren
offenbar ein Ausfluss jener blutigen Konflikte, als Heinrich VIII. sich im frühen 16.
Jahrhundert von der katholischen Kirche losgesagt hatte.
Unter der nun herrschenden Anglikanischen Kirche spürten die Gläubigen in dieser Zeit
intensivsten Aberglaubens den Bedarf der Reinwaschung von den Sünden vor dem Tod. So kam
der aus heutiger Sicht völlig abstruse Brauch der Inanspruchnahme von Sündenesserinnen
auf.
Dass das Frauen zu sein hatten, lag auf der Hand: Es sind immer Frauen, die Sünden
essen, weil Eva die Este war, die eine Sünde aß: die verbotene Frucht. Die
Sündenesserin wird ans Totenbett geholt und je nach gebeichteten Sünden wird dann die
entsprechende Speise zum Verzehr auf den Sarg gestellt.
Das Ritual endet in ihrem Spruch: Die Sünden sind nun auf mich übergegangen. Stumm
trage ich sie zu Grabe. Das aber sind die einzigen Worte, die sie sprechen darf,
denn diese Frauen sind Geächtete, werden gefürchtet und niemand darf sie ansehen. Nie
mehr leiden sie Hunger, ansonsten aber ist die Verurteilung zu dieser Aufgabe ein Fluch.
Und dem fällt hier die 14-jährige Anna anheim. Als sie zur Vollwaise wird, stiehlt das
kreuzbrave Mädchen vor Hunger einen Laib Brot und wird prompt erwischt. In diesen Zeiten
sind die Strafen drakonisch und die Ich-Erzählerin hat vor Gericht versäumt, zu kuschen.
So wird ihr das Metallhalsband umgelegt und das S der Sündenesserinnen in die Zunge
tätowiert.
Wie das ungebildete aber nicht dumme Mädchen aus einfachen Verhältnissen diese Vorgänge
und auch ihre armseligen Lebensumstände schildert, das ist atmosphärisch dicht
geschrieben und geht tief unter die Haut. Noch mehr aber ihre Anlernzeit bei einer
älteren Sündenesserin und die ersten eigenen Erlebnisse als solche.
Dann jedoch die große Steigerung: die beiden werden in den Palast von Königin Bethany
(gemeint ist offensichtlich Elizabeth I.) gerufen, denn deren Gouvernante Lady Corliss
Ashton liegt im Sterben. Doch hier stehen schließlich nicht nur die üblichen
Sündenspeisen auf der Liste.
Das Entsetzen ist groß, denn da findet sich auch ein Hirschherz und das steht für etwas,
das Lady Corliss gar nicht gebeichtet hat Mord! Damit setzt eine mörderische
Hofintrige ein, bei der Annas Kollegin das erste Opfer ist, aber auch sie in Lebensgefahr
gerät. Schlimme Gerüchte gefährden sogar die Regentschaft der Königin und über allem
schwebt die furchtbare Ungewissheit: wer ist überhaupt umgebracht worden?!
Sünde ist ein dunkler Roman, der bald eine große Sogwirkung entfaltet,
obgleich er auch dank des sehr eigenen Sprachstils nicht leicht zu lesen ist. Zeit- und
Lokalkolorit sind exzellent geschildert und auch die Auflistung der Sünden und ihrer
lukullischen Entsprechungen fehlt nicht. Altgläubigen Mummenschanz nennt eine
Hofdame die Sündenesserei, der aber füllt hier eine Geschichte von düsterer
Faszination.
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