DANIEL KEHLMANN: „LICHTSPIEL“


In den Frühzeiten des Kinofilms war Georg Wilhelm Pabst (1885-1967) einer der ganz großen Regisseure auf einer Stufe mit Lang, Murnau, Siodmak und dergleichen. Auf Grund der Umstände aber auch eigener Unzulänglichkeiten versagte er jedoch in Hollywood und unterwarf sich dem Nazi-Regime.
Mit Danile Kehlmann hat sich einer der ganz großen deutschsprachigen Autoren der Geschichte des unglücklichen G. W. Pabst angenommen und der Titel läutet adäquat „Lichtspiel“. Wie ein Spielfilm beginnt der Roman mit einer Rahmenhandlung, in der Franz Wilzek – einst Assistent des Regisseurs und nun längst dement in einem Seniorenheim lebend – für einen Eklat sorgt.
Der selbstherrliche Moderator einer Fernsehsendung hat 1978 diesen Wilzek eingeladen, um über die Arbeiten an Pabsts letztes Meisterwerk zu erzählen. 1944 wurde unter schwierigsten Bedingungen „Der Fall Molander2 gedreht, der dann in den Kriegswirren verschollen blieb. Und Wilzek widerspricht – der Film sei nie entstanden.
Dann der Einstieg in Pabsts bessere Jahre, als er in den 30er Jahren Filme in Frankreich dreht und schließlich auch wegen der Machtergreifung der Nazis wie viele seiner Kollegen nach Hollywood geht. Während die teils legendäre Erfolgsfilme drehen, stößt der für seine großen sozialkritischen Filme gerühmte Pabst an unvermutete Grenzen.
Es wird geradezu zu Slapstick, wie er an seinen unsäglich schlechten Englischkenntnissen scheitert. Seine hervorragenden neuen Filmidee kann der berühmte Filmschaffende nicht ordentlich erläutern, stattdessen drängt ihn ein ignoranter Produzent zu dem furchtbaren Machwerk „A modern Hero“, der erwartungsgemäß ein Totalreinfall wird. Und selbst Greta Garbo, die Pabst in ihren Anfängen zu Berühmtheit gemacht hat, kann oder mag ihm nicht wirklich helfen.
Die Lockrufe der Nazis verfangen da ziemlich bald, denn Pabst will Filme drehen. Und wie seine österreichische Heimat „heim ins Reich“ gekehrt ist, tut auch er dies. Bald schon ruft ihn Propagandaminister Joseph Goebbels zu sich und diese Passagen im bombastisch übersteigerten Büro des zynisch-jovialen Ministers gehören zu den hinreißendsten in diesem ohnehin filmreifen Roman.
Der ja stets trotz aller literarischen Freiheiten nah am historischen Geschehen bleibt. Um eben auch das Zustandekommen der drei Filme zu schildern, die Pabst in dieser Zeit drehen konnte. Er hatte große freiheiten, keine Budgetgrenzen und er musste auch keine Propagandastreifen drehen. Gleichwohl verurteilte Ehefrau Gertrude – durchgehend die moralische Instanz des Romans – sein Mitläufertum.
Immer wieder glänzen einzelne Szenen wie Goebbels süffisante Willkommen: „Bedenken Sie, was ich Ihnen bieten kann, zum Beispiel KZ. Jederzeit.“ Oder Pabsts Leiden unter einer gewissen Leni Riefenstahl, des Führers überselbstbewusstes Idol. Dem Pabst seinerseits jedes Talent als Schauspielerin abspricht – beschäftigen musste er sie gleichwohl.
Und dann wird die mysteriöse dritte Regiearbeit für die Nazis zum Höhepunkt, der von Pabst selbst als sein Meisterwerk bezeichnete Film „Der Fall Molander“. Unter Kriegsgetöse in Prag, letzte Schneidearbeiten unmittelbar vorm Einmarsch der Roten Armee.
Bis sich die Rahmenhandlung schließt mit dem letzten Auftritt des dementen Wilzek. Der nichts mehr davon zu berichten vermag, wie Pabst als gebrochener Mann nach dem Krieg nie wieder an alte Größe anknüpfen konnte. Dieser Roman eines Mitläufertums setzt ihm ein ebenso unterhaltsames wie tiefsinniges Denkmal auf hohem literarischen Niveau.

# Daniel Kehlmann: Lichtspiel; 477 Seiten; Rowohlt Verlag, Hamburg; € 26

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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