SIN BLACHÉ/HELEN MACDONALD:
PROPHET
Die Not muss schon groß sein, wenn US- und britischer Geheimdienst einen wie Sunil Rao
aus dem Knast holen für einen Spezialauftrag. Schließlich sitzt der ehemalige MI6-Agent
mit den indischen Wurzeln als Koksnase wegen mehreren Straftaten ein.
Mit seiner Verpflichtung auf der Polheath Air Base im englischen Suffolk beginnt nun ein
absolut außergewöhnlicher Roman mit dem Titel Prophet. Dafür hat sich die
britische Erfolgsautorin Helen Macdonald (H wie Habicht) mit der in Irland
lebenden US-Autorin Sin Blaché zusammengetan.
Rätselhaftes ist geschehen auf dem Flugplatzgelände, nachdem bereits zuvor seltsame,
völlig unpassende Alltagsgegenstände gefunden wurden. Nun aber steht da auf einem Feld
unversehens ein hell erleuchtetes, typisch amerikanisches Diner. Niemand arbeitet darin,
es gibt keine Zuwegung und nicht mal einen Stromanschluss. Und in der Nähe liegt in einem
Feuer ein toter Soldat.
Rao wurde nun geholt, weil er eine einzigartige Inselbegabung hat: er erkennt wie eine Art
menschlicher Lügendetektor jede Fälschung und Unwahrheit, wenn er sie hört oder sieht.
Und am Diner ist irgendwie alles ebenso unecht wie bei den Fundstücken. Obendrein
geschieht ein haarsträubende Todesfall, als der Erstentdecker des Diners zu diesem
geführt wird.
Um so dringender brauchen die Geheimdienste Rao. Dem sie einen alten Bekannten aus
Afghanistan-Einsätzen quasi als Bodyguard zur Seite stellen: den jüdischen
Oberstleutnant Adam Rubenstein, eine bis in die Haarspitzen gestählte Killermaschine. Was
für funkelnde Elemente sorgt, wenn der dauerquasselnde Rao sich brillante knochentrockene
Dialoge mit dem wortkargen Offizier liefert.
Das Zielobjekt der Beiden heißt Prophet, eine Art geheimer Biowaffe. Deren
Feinheiten alsbald frösteln lassen, denn dieser Stoff erzeugt bei jedem, der ihr in den
Weg kommt, eine fatale Nostalgie. Dinge und sogar Tiere verwachsen dann mit dem von
Sehnsucht Befallenen bis zum Exitus. Und die Schraube des subtilen Horrors wird immer
weiter angezogen. Dabei entspringt die teuflische Substanz nicht irgendwelchen fremden
Intelligenzen sondern vielmehr aus dem Erfindergeist eines Milliardärs. Weshalb denn auch
die Spur zu Lunastus-Dainsleif Bio Services in Denver, Colorado, führt.
So krass bis gruselig manche Szenen auch sein mögen, den ganz realen Schrecken eröffnet
die Begegnung Raos mit Dr. Veronica Rhodes, Mastermind von Prophet. Mittels dessen nicht
weniger als die Weltherrschaft angestrebt werden soll: Und Prophet ist unser Mittel,
unser erlesener Silberfaden, der die Welt nach unserem Willen formt.
Doch die allenthalben durchschimmernde Bedrohung durch Prophet hat sich längst
verselbständigt und entwickelt sich fort inklusive weltweiter Vernetzung (KI lässt
grüßen!). Und mögen Rao und Rubenstein auf ihre besondere Weise auch halbwegs immun
gegen den quecksilbrigen Stoff ein es kommt zum dramatischen Showdown in Nevada mit
letalen Folgen.
Mehr aber sei nicht verraten von diesem komplexen Roman mit seiner einzigartigen Mischung
aus Thriller, ScienceFiction, ziemlich realem Horror und sogar einer unterschwelligen
Líebesgeschichte. Prophet fesselt zudem mit hinreißenden Metaphern, die sich
abwechseln mit manchen rauen, respektlosen Ansagen.
Fazit: das Versprechen des Klappentextes eines messerscharfen Blicks auf unsere Gegenwart
wird auf ebenso spektakuläre wie beunruhigende Weise eingelöst.
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