HUGO HAMILTON: „ECHOS DER VERGANGENHEIT“


„Da bin ich nun und werde in einem Handgepäckstück durch die Departure Lounge des JFK Airport getragen. Die Tasche gehört einer jungen Frau namens Lena Knecht. Sie fliegt nach Europa. Bringt mich gewissermaßen nach Hause. Nach Berlin, die Stadt, in der ich geschrieben wurde.... Wo ich davor bewahrt wurde, am Abend des 10. Mai 1933 in den Flammen zu landen. Die Stadt, die mein Verfasser am Tag von Hitlers Machtergreifung fluchtartig verließ.“
Gemeint ist der Roman „Die Rebellion“ von Joseph Roth. Und zum 90. Jahrestag jener infamen Bücherverbrennung auf dem Berliner Bebel-Platz hat der irische Erfolgsautor Hugo Hamilton dazu mit „Echos der Vergangenheit“ einen einzigartigen Roman geschrieben. Schon der Erzähler ist außergewöhnlich: es ist das einst gerettete Buch selbst quasi als materielle Existenz.
Damals übergab es sein Eigentümer, ein jüdischer Literaturprofessor, dem unverdächtigen Studenten Dieter Knecht in Obhut. Über dessen Sohn schließlich gelangte es in der Gegenwart in die Hände von Enkeltochter Lena, die als Künstlerin in Philadelphia lebt. Die ist sofort fasziniert von einer rätselhaften Kartenzeichnung auf der Rückseite des Buches.
Da trifft es sich ideal, dass sie gerade eine Ausstellung in Berlin vor sich hat, der Heimat des Buches. Doch bei der Ankunft dort wird sie bestohlen. Allerdings wird das vermeintlich wertlose Buch fortgeworfen und landet bei Armin, einem Flüchtling aus dem Tschetschenien-Krieg.
Der ist sofort gefesselt von diesem Roman von 1924, der ihn so direkt berührt, erzählt er doch vom Veteranen Andreas Pum. Der verlor ein Bein im Krieg – wie Armins Schwester Madina – und statt einer Prothese bekam er einen Orden. Wie er dann als Leierkastenmann scheitert, als Toilettenmann endet und zum Schluss aufbegehrt, das geht Armin unter die Haut.
Und Armin nutzt die im Buch liegende Einladung zu Lenas Ausstellung, um diese zu finden und ihr die Erstausgabe wiederzugeben. Die die Beiden nicht nur näherbringt, mit viel Spürsinn machen sie sich auf die Suche, das Geheimnis der Karte und vielleicht sogar Spuren des einstigen Retters zu entdecken.
Doch das Buch selbst entwickelt nicht nur menschliche Züge an Empfindungen, es führt über seinen Inhalt auch tief in die Biografie des Verfassers Joseph Roth und dessen Frau Friederike. Der ins Exil geflüchtete große Romancier und die psychisch erkrankende geliebte Gattin. Und er, der 1939 am Alkohol zugrunde geht, und sie, die aus den Anstalten nicht mehr herauskommt und 1940 dem Euthanasieprogramm T4 zum Opfer fällt.
Das Alles ist sehr vielschichtig und komplex geschrieben, wird trotz der zentralen Rolle, die die Literatur bei all dem spielt, jedoch nie verkopft, sondern fesselt ungemein. Und auch das gewagte Experiment, das Buch selbst zum eigentlichen Erzähler zu machen, zeigt sich dieser tiefgründigen Geschichte meisterhaft gewachsen. Ein Lob gebührt im Übrigen der exzellenten Übersetzung dieses vielfach preisgekrönten Stilisten durch Henning Ahrens.

# Hugo Hamilton: Echos der Vergangenheit (aus dem Englischen von Henning Ahrens), 287 Seiten; Luchterhand Literaturverlag, München; € 22

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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