HERBERT CLYDE LEWIS: „GENTLEMAN ÜBER BORD“


Zwei Verhaltensweisen sollen sich für den Börsenmakler Henry Preston Standish aus New York als schicksalhaft erweisen. Erstens ist er ein sehr früher Frühaufsteher und zweitens hat man ihn dazu erzogen, auch bei einer großen Aufregung nicht gleich laut herumzuschreien.
Was sich leider als äußerst ungünstig auswirkt, als er auf seiner Rückreise von hawaii zum Panama-Kanal frühmorgens auf einem Ölfleck ausrutscht und vom Schiff ins Meer fällt. Niemand hat es bemerkt und als er dann doch noch um Hilfe schreit, ist die „Arabella“ längst außer Hörweite. Was da passiert ist und warum der 45-Jährige dennoch für geraume Zeit zuversichtlich bleibt, damit beginnt der Roman „Gentleman über Bord“.
Den schrieb der Journalist, Drehbuchautor und Schriftsteller Herbert Clyde Lewis (1909-1950) bereits 1937, doch erst jetzt gibt es seinen Debütroman endlich auch auf Deutsch. „Als Henry Preston Standish kopfüber in den Pazifischen Ozean fiel, ging am östlichen Horizont gerade die Sonne auf“, lautet der lakonische erste Satz und er stimmt in in seiner reduzierten Prosa auf eine ungewöhnliche Geschichte ein.
Weiterhin bleibt der Fokus bei dem stundenlang Dahinschwimmenden, der nun erst über das fatale Ungeschick sinniert, das er einfach nur für peinlich hält: „Ein Gentleman fällt doch nicht einfach so ins Wasser!“ Allmählich reflektiert er zunehmend über sich selbst, wobei er sich unverkennbar als wohlerzogener Langweiler entpuppt.
Um so erstaunlicher eigentlich, dass er als durchaus erfolgreicher Börsenmakler mit Frau und zwei Kindern plötzlich derartig in eine Sinnkrise stürzte – die man heute wohl als Burn-out bezeichnen würde – dass er sich eine Auszeit nehmen musste. In Form einer Schiffsreise und im Einverständnis mit der liebenden Ehefrau.
Erst langsam kommen mit Durst, ersten Muskelkrämpfen und dem kontinuierlichen Entschwinden der „Arabella“ Richtung Horizont nach Gefühlen der Hoffnung bis hin zur Euphorie auch solche der Wut und Panik auf. Und die unablässigen Gedankengänge des Henry Preston Standish fesseln auf erstaunliche Weise, sei es mit seinen ganz direktem Empfinden, sei es mit den Reflektionen über sein bisheriges Leben, die ein interessantes – und ganz offensichtlich authentisches – Gesellschaftsbild der 30er Jahre in den USA offenbaren.
Immer wieder besticht der schmale Roman mit funkelnden Sätzen und Jochen Schimmang konstatiert dazu im Nachwort schließlich, wie man diese außergewöhnliche Geschichte einordnen könnte: als geistreiche Komödie ohne Happy End. Die im Übrigen bibliophil im Schuber aufgemacht ist als Mare-Klassiker.

# Herbert Clyde Lewis: Gentleman über Bord (aus dem Amerikanischen von Klaus Bonn); 176 Seiten im Schuber; marebuchverlag, Hamburg; € 28


WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS) 

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