TILL RAETHER: DIE
ARCHITEKTIN
Sigrid Kressman-Zschach (1929-1990) war nicht nur eine Architektin und Bauunternehmerin,
sie war als solche auch eine Frau, die ein ganz großes Rad drehte und vorübergehend in
West-Berlin das Maß aller Dinge war für Erfolge, Schlagzeilen und Skandale. Schon 1973
war sie am Ende des Traums und der Konkurs im Folgejahr wurde der Schlusspunkt dieses
romanhaften Reigens.
Aus dieser überfälligen Steilvorlage hat jetzt Erfolgsautor Till Rather genau das
gemacht: einen Roman. Er hat den schlichten Titel Die Architektin und so
namentlich anonym bleibt die einst berühmte schöne Sigi auch durchgehend.
Wie der Autor ohnehin im Nachwort betont, dass zwar etliche Medien-Zitate echt seien, alle
Figuren jedoch fiktiv.
Erkennbar genug bleibt die Geschichte allerdings, bei der ein unbedarfter
Journalismus-Praktikant in voller Naivität auf krumme Dinge auf der größten Baustelle
der großen Architektin stößt. Dieser Kegel (in realiter ist der Steglitzer
Kreisel gemeint) grenzt an Größenwahn und die Baulöwin hatte dafür ebenso raffiniert
wie skrupellos in der Berliner Landespolitik die Strippen gezogen.
Als sie als junge Diplom-Ingenieurin nach Berlin kam, hatte sie hochfliegende Pläne
gehabt. Und um ihr bald gegründetes Architekturbüro auf die Erfolgsschienen zu bringen,
heiratete sie einen Bezirksbürgermeister, der außerdem auch Baustadtrat war. Der
eröffnete nicht nur entscheidende Informationskanäle, er war die Beziehung schlechthin
für alles weitere.
Die attraktive Architektin tanzte durch Senat und Finanzwelt und machte auch vor
amourösen Anknüpfungen nicht halt. Wenn sie denn nützlich waren, Originalzitat:
Männer, Häuser und Geld kann man nie genug haben. In diese Glitzerwelt der
machtbewussten und mächtigen Frau stolpert nun Otto Bretz, um die 20 und
als Praktikant des nicht sehr bedeutsamen Spandauer Volksblatts.
Es läuft nicht sonderlich gut mit dem Kegel und die gerissene Baulöwin kann
Ottos seltsame Trüffelfunde nicht durchgehen lassen. Also zieht sie sämtliche Drähte
inklusive Schickimicki auf Sylt. Doch sie versucht außerdem nicht nur, Otto zu
neutralisieren, sie holt sich mit dem windigen Chic Miller eine Art Spin-Doctor, der auf
höchster Ebene bei den wichtigsten Hochglanzblättern für die richtig gute Presse sorgt.
Wie das in Wirklichkeit geendet hat, weiß man ja, und warum hätte der Roman davon
wesentlich abweichen sollen?! Der Berliner Filz der 60er- und 70er-Jahre wird hier
genüsslich mit viel Zeit- und Lokalkolorit aufgespießt, aber auch der realsatirische
Zynismus in der männerdominierten Presse.
Da hätte man sich zuweilen nur noch etwas mehr Pfeffer in diesem höchst unterhaltsamen
Kolportageroman aus dem realen Leben gewünscht.
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