ANTONIA BAUM: SIEGFRIED
Als die junge Frau morgens aufwacht, hört sie draußen die Sirene eines
Krankenwagens und ist sich irgendwie sicher, dass Siegfried tot ist, ihr Stiefvater, der
das große ordnende Prinzip in ihrem Leben war. Und eigentlich immer noch ist.
Mit dieser lähmenden Verwirrung der namenlosen Ich-Erzählerin beginnt Antonia Baums
neuer Roman Siegfried. Unmittelbar bedrückend für sie aber ist vielmehr die
häusliche Situation, das totale Schweigen von Partner Alex seit dem Vorabend. Da hatte
sie ihm gesagt, dass sie mit ihrem Lektor Benjamin geschlafen hat.
Der wiederum bedrängt sie beruflich, denn von dem Roman, für den sie einen Vorschuss
bekommen hat, existiert noch keine einzige Seite. Nun ist Alex mit der gemeinsamen kleinen
Tochter aus dem haus und die Ich-Erzählerin fühlt sich hohl, verunsichert, und sie
beschließt, statt in den normalen Alltag zu gehen, Ruhe zu suchen. Eine Flucht vor dem
Kontrollverlust in der Psychiatrie.
Dort ist das Wartezimmer voll und dort kann sie in der Hoffnung auf Hilfe und Sicherheit
in Ruhe nachdenken. Es sind die Schlüsselfiguren ihres Lebens, denen sie sich in dieser
Auszeit von dem Leben voller Spannungen und Problemen ungestört widmen kann. Und da steht
über allem Siegfried als überlebensgroßes Sinnbild für Ordnung in ihrem Leben. Der
erfolgreiche Architekt, der für ihre Ideale und auch das gut gepolsterte Wohlergehen
stand.
Während ihre Mutter farblos für ihre Entwicklung blieb und so unbedeutend, dass sie
selbst nach einem Akt brutaler häuslicher Gewalt seitens Siegfried zu diesem und nicht zu
ihr hält, prägt Siegfrieds Mutter, die strenge Hilde, das Mädchen um so viel mehr.
Wärme und Zuwendung spielen keine Rolle in diesen Beziehungen, was auch die Beziehung zu
dem fünf Jahre jüngeren Alex belastet.
Die anfängliche Leichtigkeit mit ihm weicht nach und nach einer kraftlosen Enttäuschung.
Im Gegensatz zu ihr stammt er aus einfachen Kreisen und kann sein Aufwachsen mit
ostdeutscher Erziehung nicht verleugnen. Und er ist nicht nur in einer sehr anderen Welt
groß geworden, es fehlt ihm auch an Energie, um sich endlich für das angestrebte
Filmstudium auch nur anzumelden.
Stattdessen jobbt er sporadisch und fördert bei der Ich-Erzählerin nur noch verhaltene
Wut. So versinkt sie zunehmend in Apathie und leidet an der Unordnung in ihrem Leben.
Trotz ihrer Verlustängste hadert sie immer mehr mit Alex und erstickt fast am Schweigen.
- Ob die Zeit in der Psychiatrie etwas ändert? Einen Versuch war es vielleicht wert.
Fazit: ein intensiv nachdenklicher Roman, der gerade deshalb überzeugt, weil diese
Ich-Erzählerin ihre komplizierte Existenz nüchtern hinterfragt und keine emotionalen
Wellen schlägt.
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